Das mittelalterliche Stadtbild bis zu den Calenberger Herzögen

Der historische Altstadtkern von Neustadt ist auch heute als planmässige Anlage gut erkennbar: Nachgewiesen ist bereits 1331 die Steinstrasse ,- die heute Mittelstrasse heisst – in Nord- Süd-Richtung. Parallel dazu verlief im Westen die Achtere Strasse – heute Windmühlenstrasse , im Osten die Leinstrasse. Quer dazu verlief wie heute die Marktstrasse, über deren damaligen Namen allerdings nichts Bekanntes überliefert ist.

Die Winkelchronik (1966. S47) ist sicher: „Das Neustadt des Grafen Bernhard war eine viertorige Anlage [war]“.

Rühling dagegen hat in seiner Dissertation von 1988 (S 278ff) beschrieben, dass die gepflasterte Steinstrasse als erste Strasse die Hauptachse bildete und im 14. Jhdt. die Stadtzugänge im Norden durch das Nordtor, im Süden durch das Steintor erfolgten. Ist sie somit als erste Keimzelle der Stadt anzusehen? Die heutige Marktstrasse hatte durch das Bärentor – später Lauentor genannt- lediglich einen Ausgang zur westlich der Stadt gelegenen Feldmark. Hatte sie keinen Ausgang zur Leine hin? Erst mit der Stadtbefestigung durch die Calenberger Herzöge erfolgte eine „Umorientierung des innerstädtischen Strassensystems auf nur noch zwei Tore im Osten und Westen der Marktstrasse – als neuer Haupt- und Durchgangsstrasse der Stadt […]“. (S 291)

Hätte die Leinstrasse somit vordem am Ortskern vorbei den überörtlichen Nord-Süd-Verkehr aufgenommen? Ist der Leinefluss ursprünglich nicht an der heutigen Stelle, sondern weiter südlich in Höhe der Loginburg überquert worden? (S 280) Steht Rühling damit wohl im Widerspruch zu Hildegart Reese (Dissertation 1947, S 62) , die doch den Übergang des historischen Handelsweges Bremen – Hildesheim über die Leine -also ungefähr an der jetzigen Stelle- als einen Grund für die Gründung der Stadt Neustadt ansieht?

Das Stadtbild stellt sich auch schon damals dreigeteilt dar: im Süden das Schloss, in der Mitte die Kirche im Norden die Stadt. Es fällt auf, dass die Kirche nicht wie normalerweise üblich , in der Mitte des Ortes steht! Ist die Abstufung Obrigkeit – Kirche – Bürger beabsichtigt?

Die Strassen der mittelalterlichen Stadt bis 1727

Ohne bemerkenswerten Bevölkerungszuwachs hielt sich dieses Stadtbild bis zu den Zeiten der Calenberger Herzöge Erich I und II , die die Stadt bis 1568 nach fortifikatorischen Grundsätzen befestigten. Nach Klages (S. 35) wurden dafür etwa 30 Häuser, dh ein Viertel der Stadtbebauung abgebrochen! Klages liefert dafür leider keine Quelle, es ist daher auch nicht nachvollziehbar , wo diese Häuser gestanden haben könnten. Vielleicht sogar südlich der Kirche??.

Es gab immer nur noch die oben angeführten vier Strassen Leinstrasse , Mittelstrasse (früher Steinstrasse), Achterstrasse, Marktstrasse. An der Schnittstelle zwischen Marktstrasse und Mittelstrasse war eine platzartige Öffnung von etwa 25 x30 m als Marktplatz (wo heute neben dem Ratskeller das Porzellangeschäft Behrens steht). Die Stadtausgänge wurden auf 2 Tore reduziert: dem Leintor im Osten der Marktstrasse auch als Sicherung des Leineübergangs und dem Lauentor , -früher Bärentor -im Westen der Marktstrasse. Der nördliche Stadtausgang wurde geschlossen.

Erwähnt werden die Schlossbrücke, also über den Festungsgraben nördlich des Schlosses, die Poggenbrücke über einen heute nicht mehr existierenden Leinearm, die Lauenbrücke als Festungsbrücke über den Festungsgraben vor dem Lauentor, die jeweils durch einen Damm ersetzt wurden. Sie gibt es heute nicht mehr. Die hölzerne Brücke über die grosse Leine dagegen wurde 1686 /87 durch die im Prinzip noch heute vorhandene steinerne Brücke ersetzt, die Brücke über die Kleine Leine ( auch Mühlenkanal genannt) ist 1736 in Stein gebaut worden. Womit der gewachsenen Verkehrsbedeutung der Verbindung zwischen Hannover und Bremen, später bis nach London, in deren Verlauf Neustadt lag, entsprochen wurde.

Das Grundbuch der Stadt Neustadt am Rübenberge von 1610 bis 1663 nennt noch durchgehend die Steinstrasse, die Achterste (oft aber Echterste, Echtern- ) Strasse, erwähnt wird auch ein Haus „am Markt“. Das Buch verzeichnet Verträge über den Verkauf von Grundstücken, deren Lage anhand der damals bekannten Örtlichkeiten beschrieben wurde, heute aber kaum nachzuvollziehen ist. Lediglich einige Flurbezeichnungen z.B. „An der Bolriede“ oder „beim großen Wege“, „Über der Linde“ und „Im Rundeel“ sind bis heute überliefert, viele andere sind wohl in Vergessenheit geraten.

Die Strassen von 1727 bis heute

Im Jahr 1727 erlitt die Stadt eine riesige Feuersbrunst. Damit folgte ein gravierender Einschnitt in der Geschichte der Stadt. Da ein Großteil der Häuser abgebrannt war, ergab sich die Chance einer Neuordnung des Stadtbildes. Darüber gibt die im Archiv der Region vorhandene Brandkarte Auskunft. Straßenzüge wurden unter Feuerschutzaspekten begradigt, verbreitert und neue Feuerschutz-Gassen angelegt. (Sind die in der Marktstrasse vor Raute gefundenen Hausbalken ein Beleg für die Begradigung der Strasse? [Leinezeiteiung v. 8.11.07])

Genannt werden jetzt die Leinstasse, Mittelstrasse (früher Steinstrasse), die Hinterste Strasse (früher Achterste, Echterstrasse, heute Windmühlenstrasse), Marktstrasse. Neu sind jetzt die Schlossstrasse und die Schulstrasse. Darüber hinaus gibt es die Auskunft „ hat am Markte gewohnt“. Dieser Marktplatz wird jetzt aber aufgegeben. Hinzu kommen erstmals bis 14 neue Bauplätze „vor dem Lauentore“. Das heute bekannte Kaufhaus Hibbe steht auf einem Grundstück , das als erstes vor dem Tor mit einem Ackerbürgerhaus bebaut wurde: „Anthon Kallmeyer Brauhaus, hat am Markte gewohnet……rücket gutwillig vors Thor„.

1851 ließ der Magistrat nach dem so genannten „Moorvergleich“ den Wall zwischen Erichsberg und Marktstrasse planieren. Damit entstanden erstmalig wieder neue Bauplätze entlang der heutigen Wallstrasse Die Stadt fing an sich zu dehnen.

Die Dimension der Stadterweiterung nahm immer größere Züge an, der historische Bezug der Namen nahm ab. Heute bereitet es den Stadtherren oftmals Unbehagen, wenn sie neue Strassen mit neuen Namen versehen müssen. An Blumen, Tieren Märchenfiguren , verdienten Menschen ist jedoch kein Mangel, sie spiegeln sich besonders heute in den neuen Stadtgebieten wider.

Straßenbefestigung

Über die Art der Straßenbefestigung liegen wenig Nachrichten vor. Wie oben beschrieben geht Rühling für das Mittelalter von der gepflasterten Steinstrasse – heute Mittelstrasse – aus.

1838 befand und beschwert sich der Superintendent Baldenius, dass bereits vor 32 Jahren (also 1808) „das Steinpflaster vor der Superintendentur und dem daran stossenden zum Kirchweg gehörenden Fusswege in sehr schlechten Zustande und es war schon damals zu bemerken wie seit vielen Jahren kene gründliche Reparatur daran geschen seyn konnte “(Quelle: KA) Die städtischen Strassen werden wohl gepflastert, aber auch sehr schlecht gewartert worden sein.

Erst für das 19. Jhdt geben die Stadtarchivalien Auskunft über Strassenbefestigungen.

Die typische Befestigung erkennt man gut in alten Postkarten oder Bildern: Sie bestand im 19 Jhdt aus einem etwa 4m breiten mit größerem Pflaster befestigten Mittel- bzw Fahrstreifen, beidseitig flankiert vom einem ca. 1m breiten Kleinpflasterstreifen. Für das Jahr 1849 liegt ein Schriftstück über die „Veranstaltung der Anlieger der Hauptstrasse (Marktstrasse) betreffend die Unterhaltung des Strassenpflasters “ vor, somit war sie bereits vorher gepflastert und musste – unter Kostenbeteiligung der Anlieger – repariert werden.

1895 wehrten sich die Anlieger der Windmühlenstrasse offensichtlich erfolglos gegen eine Kostenbeteiligung für den Ausbau der Strasse. Die Ausbaupläne sowohl der Windmühlenstrasse als auch der Leinstrasse stellen den Straßenneubau in der oben beschriebenen Weise dar, sie geben leider keine Auskunft darüber, wie sie vordem ausgesehen haben.

Die Anlieger der Marktstrasse hatten gemäß „Nachweisung der Neubaukosten des Südlichen Trottoirs […]“ von 1903 erneut Anliegerkosten zu tragen. Die Marktstrasse erhielt somit offensichtlich erstmalig einen separaten befestigten Gehweg. Allerdings musste die Stadt wegen unsachgemäßer Ausführung und Materialfehlern einen Prozess gegen die ausführende Firma führen.

Die Qualität des Straßenpflasters dokumentiert vielleicht auch folgende Schnurre, die Klages – leider ohne zeitliche Zuordnung- dem Nachtwächter Christian Buuk zuschreibt: Dem sollte das Straßenpflaster „zum Verhängnis werden, oder war die Nacht vor dem Pfingstfest schuld daran, dass sein Sprüchlein lautete:

`Hört, Ihr Leute, und lasst Euch sagen,
die Glocke hat—o düsse Steine,
de bräket mi noch Hals un Beine—
zwölf geschlagen´ “

Stadtteile:

  • 1810 hat die Stadt 159 Häuser, dazu kommen 8 Moorhäuser.
  • 1814 werden 7 Häuser aus Moordorf genannt
  • 1853 wird in folgende Stadtteile unterschieden
  • Neustadt
  • Vor Der Neustadt
  • Die Wärterhäuser der Eisenbahn
  • Dammkrug
  • Vorwerk Hachland

Nach dem Bau der Eisenbahn und der Annexion durch Preussen gab es im historischen Stadtkern keine Erweiterungsmöglichkeiten mehr. Es begann eine kontinuierliche Erweiterung der Stadtbebauung entlang der Wunstorfer Strasse , der Lindenstrasse Nienburger Strasse , Rundeel .Auch am Weg zum Toten Moor – heute Landwehr- entstanden kleinere Wohngebiete, 1866/67 nennen die Annalen bereits 19 Stassennamen, bis 1898 kamen 10 weitere hinzu.

Das Ende des zweiten Weltkrieges brachte eine enorme Wandlung. 1949 bis 1966 entstanden neue Stadtteile mit der Goethestrasse, von 1962 bis 1965 die Wohnbebauung an der Gartenstrasse , Mitte der 60iger fand eine zunehmende Neubebauung westlich der Eisenbahn statt. Das Adressbuch von 1958 verzeichnet 85 , ein Stadtplan von 1970 schon 156 Strassennamen. Nach 1970 folgte das Silbernkampgebiet, das seinen Namen noch aus einer alten Flurbezeichnung bezog. Es folgten Gewerbegebiet Ost, sowie neue Wohngebiete mit phantasievollen Eigennamen wie Parkwiesen und Auenland, Nach der Gebietsreform von 1974 verwischten sich der Einfluss der historischen Stadt nachhaltig, die Dominanz der kleinen Ackerbürgerstadt verlöschte zugunsten eines künstlichen Stadtgebildes, welche sich mit seinen 35 Dörfern als fünftgrößte Stadt Deutschland rühmen darf.

Zu Hausnummern

Die Kopfsteuerbeschreibung von 1689 belegt, dass Hausnummern oder – bezeichnungen bis dahin nicht bekannt oder geläufig waren. In diesem kleinen Ackerbürgerstädtchen kannte wohl jeder jeden, sodaß genauere Bezeichnungen nicht erforderlich waren. Wichtig war lediglich die Angabe, ob es sich um ein Brauhaus- somit mit Braurechten belegt- handelte.

In den Plänen zum Grossen Brand von 1727 werden zwar 110 Häuser bzw Grundstücke , davon ca 75 Brauhäuser , listenmässig erfasst, wobei die Nummerierung noch keine Hausnummer darstellt.

1750 wurde die Brandassecurationskasse gegründet, in der die Häuser gegen Brand zu versichern waren (sie existiert noch heute als Landschaftliche Brandkasse).

Durch Verordnung von 1775 wurde die Nummer des Brandkassenregisters zur amtlichen Hausnummer und musste am Haus angebracht werden.

Schon in den Volkszählungsakten von z.B. 1766 ist schon eine entsprechende Nummerierung von Grundstücken erkennbar, die aber noch nicht chronologisch vorgeht. 1791 werden Brandschäden an den Häusern 80, 81, 82 gemeldet.

Ein Ehevertrag von 1853 betrifft die „Nro 115 an der Hintersten Strasse2 “, das ist aber identisch mit der im Verkaufsvertrag von 1864 beschriebenen „Bürger- und Braustelle Nr 25 an der Windmühlenstrasse“. Nicht nur hat sich der Strassenname geändert, es wird jetzt auch eine Hausnummer vergeben, die für fast alle Häuser bis heute gilt.

Seit 1853 wurden die Akten „betreffend die Katastierung der Gebäude im Stadtgebiete und Einführung fester Hausnummern“ geführt

In der Häuserliste von 1857 erscheint erstmalig die Adresse „Zwischen den Brücken“ mit Hausnummer, gleichzeitig aber mit der Nummer des Brandkassenkatasters. Das selbe Grundstück ist über eine Hausnummer, die Brandkassennummer, aber auch über eine Nummer der Bürgerstelle identifiziert. Die Einführung der geregelten Hausnummerierung brauchte wohl eine gewisse Übergangszeit. Seitdem aber gelten die Adressen und Hausnummern, wie noch heute gültig sind. Das wird z.B. bei dem Vergleich des Wahlregisters und Militärerfassungsliste im Bürgerbuch seit 1855 deutlich.

1908 endlich erging die städtische Verfügung, dass alle Häuser mit Hausnummern zu versehen seien. Die Beschaffung der Schilder führte nach einer ordnungsgemäßen Ausschreibung die Stadtveraltung durch.

[HD, November 2007]


 

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