Eingemauertes Kind? Beim Bau der Festungsanlagen (Bastion) Landestrost soll ein Kind als Opfergabe in die Südseite der Mauern eingebettet worden sein. Dieser oral überlieferte und in einigen Texten festgehaltenen Mythos hielt sich bis 2009. Ruebenberge.de hat ihn stets bezweifelt.

Die  Legende vom eingemauerten Kind neu betrachtet

Wer in Neustadt den Amtsgarten – unüblich auch als Schlossgarten bezeichnet- oder die Leutnantwiese besuchte, erzählte Besuchern oder gar Kindern gern die gruselige Geschichte vom eingemauerten Kind in den Verteidigungsmauern der Festungsanlagen (Bastion) Landestrost und verwies zum Beweis auf eine Darstellung in der Mauer des Amtsgartens.

Mythos des eingemauerten Kind in der Mauer des Schloß Landestrost in Neustadt am Rübenberge

Mythos des eingemauerten Kind in der Mauer des Schloß Landestrost in Neustadt am Rübenberge – Hier vermutete man das eingemauerte Kind

In „Niedersachsens Sagenborn“ wird die Geschichte so wiedergegeben:

Das Steinbild in der Stadtmauer zu Neustadt am Rübenberge

An der Westseite der alten Festungsmauer von Neustadt am Rübenberge befindet sich unten zwischen mächtigen Quadern ein roh behauenes Steinbild von etwa einem Meter Höhe. Es stellt eine ärmlich gekleidete Frau dar, ihre linke Hand ist auf die Brust gelegt, und das Gesicht zeigt einen schmerzlichen Ausdruck. Der Stein erzählt von einer traurigen Begebenheit, die sich beim Bau der Festungswerke zugetragen haben soll.
Des sumpfigen Untergrundes wegen wollte die Festungsmauer an dieser Stelle nicht stehen, sondern versank immer wieder trotz aller Mühen der Bauleute. Als alles vergeblich schien, riet ein fremder Steinmetz, der weit in der Welt herumgewandert und in manchen Gebräuchen erfahren war, man solle an der bösen Stelle ein lebendiges Menschenkind einmauern, um die tückischen Erdgeister durch dieses Opfer zu befriedigen, dann würden sie ihre unheilvolle Hand von dem Werke ablassen.
Es lebte damals in Neustadt ein Weib, das war so arm, daß es für sich und sein vaterloses Kind oft nichts zu beissen und zu brechen hatte. Das gleißende Gold betörte den Sinn der Frau; für einen Beutel voll Gold gab sie ihr Kind dahin. Man gab dem armen Kindelein ein Zweipfennigbrötchen in die Hand und mauerte es dann ein. Nun waren die Erdgeister versöhnt, und der Bau stieg hoch und stark empor. Die unglückliche Mutter aber fand von der Stunde an keinen Ruhe mehr. Sie schleuderte das Gold in einen Teich, der westlich von der Festung lag und die Steinkuhle hieß, und stürzte sich dann selbst hinein
.

Klages hat diese Version in seiner maschinengeschriebenen, ungedruckten Chronik der Stadt Neustadt von 1950 übernommen und mit folgender Zeichnung ergänzt.

Klages zeichnete für seine Chronik die Madonna mit Kind. Diese soll dem Mythos gemäß die Stelle kennzeichnen, an der das Kind eingemauert wurde

Klages zeichnete für seine Chronik die Madonna mit Kind. Diese soll dem Mythos gemäß die Stelle kennzeichnen, an der das Kind eingemauert wurde

Tatsächlich wird die alte volkstümliche  Sage bereits 1907 von Hans Viebrock aufgegriffen und aufgeschrieben.(„Niederdeutschen Zeitschrift für Volkstum und Heimatschutz in Wort und Bild, Bremen.“ (NS 12 Neustadt am Rübenberge 1907, 134f). Sie wird aber auch andernorts und in Abwandlungen erzählt.
Dr. Kurt Heckscher ( „Die Volkskunde der Provinz Hannover“ von 1930″) hat die Sage etwas anders dargeboten. Ein alter Priester gab den Rat, ein unschuldiges Kind im Gewölbe lebendig einzumauern, um den Satan zu besänftigen. Das Kind wurde in dieser Geschichte einer umherziehenden Bettlerin abgekauft. Das setzte man auf einen hohen Kinderstuhl in der Mitte eines gewölbten Raumes innerhalb des Walls nieder. Man gab ihm einen Zwieback in die Hand und fragte es: „Was ist weicher als ein Kissen ?“ Darauf antwortete es: „Der Mutter Schoß.“ Auf die Frage: „Was ist süsser als Honig:?“ „Der Mutter Brust“ . Danach schloss man das Gewölbe und die Arbeit an der Festung konnte vollendet werden.

Ähnlich wird auch in „Niedersachsens Sagenborn“ der Ursprung der Stadt Celle, hier noch Altencelle, beschrieben. Auch hier versanken dauernd die Grundmauern, ein altes Mütterchen gab den Rat, ein Kind zu opfern und hier gab eine junge Mutter ihr ohnehin totkrankes Kind her. Auch hier wird in ähnlicher Weise Rede und Antwort geschildert.

Kunze wiederum erzählt die Geschichte so, daß das Kind von einer Zigeunerin hergegeben wurde und man dem Kinde einen Wecken (Weizenbrötchen) in die Hand gab und es lebendig einmauerte. (400 Jahre Schloß Landestrost, 1973)

Viele Varianten des Erzählmotives „eingemauertes Kind“, oral tradiert, sind also in abgewandelter Form zu finden. Ruebenberge.de hat den Mythos stets bezweifelt.

Der Turm im Amtsgarten, ein historische Fund

Wenden wir uns dem zu, was über den Mythos hinaus greifbar ist.
Im „Heckscher“ wird der Ort mit dem eingemauerten Kind wie folgt beschrieben: „Am Schloßwall zu Neustadt befindet sich zwischen zwei in Steinen ausgesetzten menschlichen Figuren und unter einem ebenso aus Steinen gesetzten mit einem Ring umgebenen Kreuz eine von breiten Steinen als Halbbmandorla umgebende weibliche Halbfigur mit eniem Kinde auf dem Arm, die dem Volksglauben als Darstellung dieser Sage gilt.“ In einer Anmerkung dazu heisst es: „Da das Steinbild aus der Kirche stammen soll, wird es sich um eine Madonna handeln.“ (Anm.: Mandorla: gr.-lat.-it mandelförmiger Heiligenschein um die ganze Figur bei Christus- u. Mariendarstellungen).

Aus der Festungsmauer herausgelößte Mutter mit Kind-Statue

Aus der Festungsmauer herausgelößte Mutter mit Kind-Statue

 

 

Die Mutter-Figur aus der Wand der Festungsanlage. Es ist eindeutig kein Relief, sondern eine massive Statue.

Die Mutter-Figur aus der Wand der Festungsanlage. Es ist eindeutig kein Relief, sondern eine massive Statue.

Eingemauertes Kind in der Mauer des Schloss Landestrost - Relief

So saß die Figure in der Wand. Man hielt es für ein Relief.

Der Mauerteil mit der obenbeschriebene Darstellung war einsturzgefährdet. Daher wurde 2009 der Auftrag erteilt, die Mauer von hinten zu stützen. Überraschenderweise fand man bei den Freilegungsarbeiten Mitte April 2009 die Reste eines alten Treppenabganges, die man zunächst als Turmfundament oder Bastion identifizierte. Daher musste die gesamte Wand sorgfältig abgetragen werden. Mit den Schachtarbeiten stellte sich heraus, dass dieser betreffende Mauerabschnitt erst 1920 errichtet worden ist. Kunze hat bereits für die Schlosschronik von 1973 festgestellt, dass Teile der Mauer erst in diesem Jahrhundert neu verblendet worden sein sollen. Ein Mythos drohte zu sterben. Das eingemauerte Kind hinter einer erst vor 90 Jahren errichteten Mauer?. Sogar in Leserbriefen wird die Zerstörung der Legende betrauert.

Der Plan des Amtsgartens um 1885 zeigt deutlich, dass es zu der Zeit diesen Mauerabschnitt nicht (mehr) gegeben hat. Als der Amtsgarten schon im 16./17. Jahrhundert als Festungsbauwerk keine Aufgabe mehr hatte, wurden die Umfassungsmauern zum Abbruch freigegeben. Wahrscheinlich hat man sich hier des Baumaterials zum Bau der Schleusse und anderer Objekten bedient. Sie kann daher erst nach 1885 wieder errichtet worden sein. 1920 wurden Reparaturarbeiten durchgeführt und die Wand teilweise neu aufgeführt. Nicht nur die Fundstücke bei den Ausgrabungen des Treppenabgangs, die Verwendung von modernem Zementmörtel und andere Hinweise belegen das. Nachfahren der Bauleute, die mit der Reparatur der Mauer beschäftigt waren, wissen davon aus der Väter Erzählung. Viele Teile der Wallverblendungen, auch die Pfeilspitze, sind noch später, in den 50er Jahren und danach im Auftrag bzw mit angestellten Kräften des Landkreises entstanden bzw erneuert worden.

Die Mauer fehlt: Spitze des Amtsgartens um 1885

Die Mauer fehlt: Spitze des Amtsgartens um 1885

Hans Viebrock bezieht sich aber bereits 1907 auf ein vorhandenes behauenes Steinbild (s.o.). Es ist daher zu vermuten, dass es auch vor dem Umbau in 1920 eine ähnliche Darstellung im Wall des Amtsgartens gegeben hat. Vielleicht hat man sie am ursprünglichen Platz belassen und nur neu ummauert, sogar die selben Materialien wieder verwendet. Die Marienfigur stellte sich nach der Freilegung aus der Mauer als Vollplastik heraus Die Vermutung von Heckscher, sie stamme wohl ursprünglich aus der Kirche, ist nicht von der Hand zu weisen.

Es ranken sich aber weitere Vermutungen um die Madonnenfigur und den Turm. So konnte es vom Turmtreppenabgang zum jetzigen Tor der Kasematte seinerzeit einen verdeckten Gang gegeben haben. Dann hätte die ursprüngliche Wehrmauer aber weiter nördlich gestanden. Die Madonnenfigur soll auch Anbetungsobjekt fremder, katholischer Truppenteile im 30jährigen Krieg gewesen sein. Dagegen spricht, dass das Gelände westlich des Amtsgartens sumpfig und kaum zugänglich war. Wenn es derzeit eine verrehrenswürdige Madonnenfigur schon gegeben haben sollte, sicher an anderer Stelle der Befestigung,

Der jetzt unvermutet entdeckte, verschüttet gewesene Treppenabgang stammt wahrscheinlich aus dem 13./14. Jahrhundert. Es ist daher abzuwägen, welcher Lösung man bei der Herrichtung der Mauer den Vorzug geben wird, um den Erhalt der freigelegten Treppe und / oder den Wiedereinbau der historischen Marienfigur in Einklang zu bringen. Vorstellbar ist, dass man über dem Turmfragment eine Überdachung anordnet, um es so vor Witterung zu schützen und sogleichzeitig das Bild eines in die Höhe strebenden Turms anzudeuten. Die Entscheidung wird einige Zeit in Anspruch nehmen, wir werden gegenenfalls weiter berichten.

Kein eingemauerts Kind - Die verborgenen Treppe in der Festungsmauer des Schloss Landestrost
Verborgenen Wendeltreppe im Schloss Landestrost (Bastion) freigelegt

Verborgenen Wendeltreppe im Schloss Landestrost (Bastion) freigelegt

Die Sage vom eingemauertem Kind wird immer noch zu unserem alten Volksgut gehören. Erzählen Sie die Geschichte weiterhin, damit auch künftige Generationen sich darüber gruseln können.

Karte

[Überarbeitet und neu verfasst von HD, Juni 2009]


 

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