In der Leinezeitung vom 8.11. 2007 wurde über die Entdeckung eines Lesers berichtet, der den Feldwegdurchlass über den „Schiffsgraben“ in der südlichen Verlängerung der Lindenstrasse als eine sogenannte „Napoleonbrücke“ identifiziert. Die Brücke sei für den Durchmarsch Napoleonischer Truppen errichtet worden. Was ist daran zweifelhaft?? Der aus Bruchsteinen errichtete Durchlass ist auf beiden Seiten mit Schlusssteinen versehen. Während der eine Initialen trägt, die noch der Indentifizierung bedürfen, trägt der südwestliche Stein nicht die Inschrift 1807, sondern 1802. Die „2“ wurde ähnlich wie ein „Z“ geschrieben.
Brückenschlussstein Brücke Schiffgraben

Nordöstlicher Brückenschlußstein mt Wappen  über den Schiffgraben in Neustadt (verlängerte Lindenstrasse)-
Foto: Dyck

Brückenschlussstein Franzosenbrücke Hachland Neustadt

Südwestlicher Brückenschlußstein der sogenannten Napoleonbrücke über den Schiffgraben im Hachland – [Foto Dyck]

Napoleon hat das Kurfürstentum Hannover erst im Juni 1803 überfallen, nachdem ihm der König von England, somit der
Kurfürst von Hannover, den Krieg erklärt hatte. Ein so unbe-deutender Grabendurchlass wird kaum in vorauseilenden Gehorsam gegenüber napoleonischer Macht errichtet worden sein.

Interessanterweise wird bei Winkel (S347, Zeichnung Kaemling) auf der Abzeichnung einer Feldmarkkarte von 1854 die Lindenstrasse als „Alte Heerstrasse“ bezeichnet.

Soviel ist schon jetzt sicher: Es handelt sich hier um eine Überquerung des historischen Schiffgrabens, der im Zuge eines Rezesses von 1753 entstanden ist und dem Transport von Torf in Schiffszügen vom Moor zur Leine hin ermöglichen sollte. Dieser Durchlass ist aber später entstanden, mit den heutigen Ausmaßen könnte kein Boot die Brücke passieren.

In diesem „Moorvergleich“ wurde unter vielen anderen Punkten geregelt:

Nachdem auch (…) zu künftiger Nutzung und Kultur dieses dem Amte cedierten
Mohr-Districts nöthig befunden ist, daß der vorhandene alte Graben vom Mohr bis an die Leine durch das Stadt=Gehölze und sonst allenhalben auf 18 bis 20 Fuß breit aufgeräumet und erweitert, mithin dadurch völlig schiffbar gemacht und in solchem Stande beständig unterhalten werde, so erklähren
sich BürgerMeister und Rath auch die gesammte Bürgerschaft hiemit verbindlich, daß sie die Aufräum: und Erweiterung des Schiffgrabens auf erwehnte Breite ungehindert geschehen laßen, auch in Absicht ihrer Holzberechtigung und Viehweide alles Wiederspruchs dagegen begeben, auch dem Amte den freyen Gebrauch von dem Ausbringen der Erde und zum Schiffs=Linien=Zuge erforderlichen Ufer an diesem Graben ungehindert gestatten und die dem Linien:Zuge hinderlichen: Zur rechten Seite des Grabens auf 6 bis 8 Fues vom Ufer stehende Bäume so fort in diesem Tradelweg räumen wolle. (…)

„Winkel folgert aus dem Vertrag, (S.224)
„Der vorhandene alte Graben vom Moor bis in die Leine durch das Stadtgehölz (den Wald im Hachland) soll auf 18-20 Fuss verbreitert werden (…)“

Die Stadt gestand dem Amt weiterhinzu, den
„freien Raum zum Schiffslinienzuge in Breite von 12 Fuss auf beiden Seiten des Kanals zur Verfügung zu stellen.“

Der Kanal scheint aber Ärger in Bevölkerungskreisen verursacht haben, denn bereits am

19. Juli1754: Eine Verordnung kündigt drakonische Strafen für die Verursacher der Zerstörungen an dem Schiffskanal zwischen Moordorf und der Leine bei Neustadt an: „Nachdem unsere Beamte zu Neustadt am Rübenberg einberichtet, wasgestalten böse Leute sich unterfangen haben, an dem zwischen dasigen Torf- Mohr und der Leine angelegten Schiff- Canal und denen darin befindlichen Schleusen und Schiffen vorsetzlichen Schaden verursachen, die Schleusen bey Nacht- zeit zu eröffnen, und dadurch dem Canal das

Fahr- Wasser zu nehmen; Und dann aber dergleichen Frevelthat desto strafbarer ist, als bemeldte Veranstaltung des Canals und der Schleusen dem gemeinen Wesen zum besten gemachet worden; So setzen, ordnen und wollen Wir hiermit, daß niemand, wer der sey, weder vor sich, noch durch andere, dessen Kinder und Gesinde, sich unternehmen solle, weder an den obbenannten Schiff- Canal, noch dessen Ufer, und Schleusen, und daselbst liegenden Fahr- Zeugen oder Schiffen, samt allen dem, was dahin gehörig, im geringsten sich zu vergreiffen, und deßfals einigen Schaden oder Aufenthalt zu verursachen: Würde aber sich jemand dessen gelüsten lassen; so soll er dem Befinden und dabey sich äusernden Vorsetzlichkeit nach mit der Straffe des Pfals oder Karre- Schiebens auf ein, zwey oder mehrere Jahre ohnabbittlich beleget, auch zur vierfachen Ersetzung des verursachten Schadens angehalten werden. Wenn jemand einen solchen Freveler, der sich auf obbemeldete Art vergangen hat, nahmhafft machen, und solcher zur Hafft gebracht, und der That überführet seyn wird; So will man den Angeber 10. Thlr. zur Ergötzlichkeit reichen, und seinen Nahmen völlig verschwiegen halten lassen. Uebrigens soll diese Verordnung in denen Aemtern des Hannoverschen Quartiers von denen Cantzeln verlesen, auch in denen Krügen öffentlich angeschlagen werden. Gegeben Hannover den 19. Julii 1754. Ad Mandatum Regis & Electoris proprium. v. Münchhausen“ (Aus Kirchenchronik Barby: Quelle: Verordnung wegen des Neustädter Schiff- Canals und Schleusen, Eph Neu)

Die Akten im Hauptstaatsarchiv in Hannover geben vielerlei Aufschlüsse über den Schiffgraben. Der von der Finanzdirektion in Hannnover bestellte „Moorvogt“ hat zwischen 1753 und 1792 in jährlichen Mappen Gewinn- und Verlustrechnungen aufgestellt. Einnahmen ergaben sich u. a. auch für Moorzins und aus Verkäufen von Torf, wobei zwischen weissem und braunem Torf unterschieden wird. Minusbilanzen waren nicht selten.

Bei den Ausgaben wird von der Mengenbezeichnung „Fuder“ für 1.000 Stück Torf ausgegangen. Unterschieden wird auch nach Deputaten, die zu berücksichtigen waren und Verkauf auf der Stelle. Ausgaben entstanden auch für „den Torf an den Canal zu rücken und zu verschiffen“, für Gerätschaften, für die Unterhaltung der Schleusen und des Schiffskanals sowie Inspektionen.

1762- 63 werden im „Inventuarium der Moorgerätschaften“ folgende Boote registriert:

  • 2 Schiffe 90 Fuß (ca 27m) 9 Fuß (ca 2,7m)
  • davon 1 abgängig
  • 1 Schiff 65 Fuß (19-20m) 8 Fuß (ca 2,4m)
  • 1 Schiff 58 Fuß (ca 17m) 8 Fuß (Nds HstAH 2465)

Die Gewinnung, der Verkauf, die Verschiffung des Torfs, damit die Er- und Unterhaltung des Schiffgrabens hat sich für die Obrigkeit nicht gelohnt. Die Erkenntnisse gleichen denen der Stadt Hannover:

Eine veritable Chance, den Stadtwald Eilenriede dauerhaft zu entlasten [Anmerkung: gemeint war die Abholzung], liess die Altstadt (Hannover) interessanterweise über Jahrhunderte ungenutzt: Obwohl man im Jahre 1365 von Herzog Wilhelm das Recht erwarb, im Hochmooor bei Altwarmbüchen Torf zu stechen und für den Abteransport in die Stadt durch eien Graben- den durch die ältere Eilenriede verlaufenden Schiffgraben- anlegen zu lassen (…)

(…) Offenbar war es für die Stadtkasse günstiger, Holz aus dem nahegelegenen Stadtwald herbeizubringen, als Torf aus dem abgelegen Altwarmbüchener Moor zu beschaffen, (…)


Da seit 1720 die Torfpreise in der Stadt unablässig gestiegen waren, beschloss der Rat im Jahre 1746, die seit Jahrhunderten vernachlässigte Schifffahrt auf dem Schiffgraben wieder in Betrieb zu nehmen.
(…) Die Kosten für die Unterhaltung des Schiffgrabens hatte man schlichtweg unterschätzt. Als im Jahre 1751 erneut grössere Reparaturen notwendig wurden, schlief die städtische Torfschiffahrt schon nach kurzer Zeit sang- und klanglos ein (…)
(Aus Blatt Hannover, Historisch- Landeskundliche Exkursionskarte von Niedersachen (S.142/ 142) Bettina Borgemeister)

Die Erkenntnis der Hannoveraner wegen der hohen Unterhaltungskosten dürfte auch hier dazu geführt haben, dass der Betrieb, wie in Hannover, sang- und klanglos eingestellt wurde. Der heutige Graben lässt keinen Rückschluss mehr darauf zu, dass eine ausreichende Wassertiefe oder -menge einen Betrieb mit beladenen Booten dauerhaft möglich gemacht haben könnte. Zeugnisse über Schleusen oder ähnliche Anlagen fehlen inzwischen ganz. Über die Anfangsstelle des Kanals ist nichts überliefert und heute auch nicht mehr nachzuvollziehen,

Zeugnis des Rezesses von 1753 ist auch der Moorkrug an der Wunstorfer Straße, der Wohn- und Amtssitz des Moorvogts war. Er hatte auch eine Schankberechtigung, wobei vereinbart war, dass nur Bier aus Neustadt verkauft werden durfte.

Ausschnitt aus der Karte von Prätorius 1770, in Curt Ochwadt “Das Steinhuder Meer”. In dieser Karte sind eingetragen der “Torf Canal, stark verschlemmt” und der ”Moorkrug”. Demnach ist der Schiffkanal wohl bereits 17 Jahre nach dem Rezess wegen Verschlammung nur eingeschränkt nutzbar

Ausschnitt aus der Karte von Prätorius 1770, in Curt Ochwadt “Das Steinhuder Meer”. In dieser Karte sind eingetragen der “Torf Canal, stark verschlemmt” und der ”Moorkrug”. Demnach ist der Schiffkanal wohl bereits 17 Jahre nach dem Rezess wegen Verschlammung nur eingeschränkt nutzbar

Das Moor blieb über die Jahre dennoch nicht unbeaufsichtigt. 1882 schlägt die zuständige Finanzdirektion vor, in Ermangelung anderer geeigneter Personen den Moorwärter Hecht zum Vorsteher zu bestimmen.

Finanz Direktion
Abtheilung für Forsten
Hannover den 1. Juli 1882
5362
Priora

In Erwiderung auf den Bericht vom 16ten d. M. N 5124 bemerken wir, daß wir uns nicht in der Lage sehen, zum Vorsteher für die unbebaute forstfiskalische Besitzung GroßesMoor bei Neustadt a/R eine auf dem Moore selbst wohnende Persönlichkeit in Vorschlag bringen zu können, dagegen möchte der Moorwärter Hecht zu Moordorf, zu dessen Dienstbezirke jenes Moor gehört, die Geschäfte eines Vorstehers zu besorgen im Stande sein. Falls Euer Hochwohlgeboren hiermit einverstanden sind, werden wir den Hecht sofort veranlassen sich behuf der erforderlichen Verpflichtung bei Euer Hochwohlgeboren zu melden. Barkhausen

An Herrn Amthauptmann
Schwarzkopf Hochwohlgeboren zu Neustadt a/R

Das hat sich aber wohl bald erledigt, denn das Amt in Neustadt berichtet gehorsamst der Finanzdirektion in Hannover über die „moralische Qualification des Moorwärtes Hecht zu Moordorf“, „daß der Moorwärter Hecht nach Mitheilung, welche mir von zuverlässiger Seite zugetragen, dem Trunke stark ergeben ist“.

Schiffgraben und Torfgewinnung spielen heute keine Rolle mehr. Kaemling bezeichnet bei Winkel den Graben als „Altenmoorkanal“, dennoch hat sich noch heute die Strassenbezeichnung „Am Schiffgraben“ in Poggenhagen und „Schiffgraben“ in Stadtplänen erhalten.

Der steinerne Durchlass an der südlichen Lindenstraße ist wohl 50 Jahre nach dem Vergleich erneuert, der Weg oberhalb mit fachgerecht gesetztem Steinpflaster befestigt worden. Der Durchlass ist – 1802 – zudem so eng gebaut worden, dass ein Passieren eines mit Torf beladenen Bootes nicht mehr beabsichtigt und möglich war.

Der Schiffgraben in Poggenhagen - historische Verbindung von Leine und dem Toten Moor.

Der Schiffgraben in Poggenhagen – historische Verbindung von Leine und dem Toten Moor – [Foto Dyck]

HD Okt 2012

  • Quellen im Regionsarchiv Neustadt:
  • NRÜ I 621 Verhandlungen über den Antrag der Domänenkammer …wg. Entwässerung des herrschaftlichen Torfmoors nach der Leine: Darin Handzeichnungen von Grabenzügen durch Moorvogt Lücke
  • NRÜ I 669 Der Moorgraben im Bürgerholz 1753- 1756 1833- 1875, Rezess von 1753 und weitere
  • Barby Kirchenchronik

 

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