Mythos oder wahre Geschichte? Die Sandschleuse im Spiegel historischer Pläne

In Neustadt wird gelegentlich im Zusammenhang mit der Leineschifffahrt in alten Zeiten eine „Sandschleuse“ erwähnt. Im fast „alleswissenden Wikipedia“ und auch in der gängigen Neustadt- Literatur ist der Begriff jedoch fast unbekannt. Lediglich an dem Flüsschen Sorge in Schleswig – Holstein gibt es ein Wehr mit Schleuse und sehr leistungsfähigem Pumpwerk namens „Sandschleuse“, das mit unserem Objekt jedoch nicht vergleichbar ist. Wir wollen dem geschichtlichen Hintergrund  unserer Sandschleuse nachgehen.

Schon immer wurde  – besonders bei Hochwasser –  das Wasser  der Kleinen Leine vor   der Mühle über einen seitlichen Graben zur Großen Leine hin abgeleitet.  Das diente vor allen dem Schutz der Mühle vor zu hohen Wasserdruck inHochwassersituationen.

Der Plan aus dem Jahr 1652

Rekonstruktion des Merianstichs 1652 mit Mühle und Strauchwehr unter der Brücke zwischen den Inseln. (Rühling)

Rekonstruktion des Merianstichs 1652 mit Mühle und Strauchwehr unter der Brücke zwischen den Inseln. (Rühling)

Rühling beschreibt, bezogen auf die Zeit der Calenberger Herzöge in Neustadt bis 1584,  dass die vor dem Wehr der Leine gestauten Wassermassen bei Hochwasser an mehreren Stellen des Mühlenkanals über die festen Freigerinne u.a. vor der Mühle abfließen konnten,  um eine Beschädigung des Mühlengebäudes weitgehend zu verhindern.  Dieses Freigerinne mit einem Höhenunterschied von bis zu 2 m hat  im Prinzip bis 1890 bestanden. (Rühling S 143)

Schon seit dem 14. Jahrhundert fand eine halbwegs geregelte Leineschifffahrt statt. Auch Reese geht davon aus, dass schon früh – im 14. Jahrhundert-  Schiffe auf dem Fluss fuhren, um Waren zwischen Hannover und Bremen auszutauschen, allerdings stark behindert durch die Stromschnellen im Wealden (Fels)  kurz vor Neustadt. (Reese  S.95).  Auch Rühling erklärt einerseits (S 318/ 319), dass die zweifellos schon im Mittelalter  vorhandenen Untiefen im Leinebett in Höhe Neustadts wirtschaftlichen Schiffsverkehr verhinderten.    Wohl zur Zeit der Calenberger Herzöge Erich I. und II. wurde ein  Strauchwehr  (in Höhe des heutigen Wasserfalls) angelegt. Das  erhöhte den Wasserstand oberhalb des Wehrs und sorgte besonders in niederschlagsarmen Zeiten für einen geregelten  Zufluss zum Mühlenkanal (auch Kleine Leine genannt), somit zur Mühle und der Festungsgräben. Unterhalb des Wehrs behinderte die an sich schon geringe Wassertiefe der Großen Leine den Verkehr auch kleinerer Lastkähne. Es wird aber berichtet, dass die die Beladung der Schiffe  in Höhe des heutigen Wasserfalls, dem damaligen Strauchwehr, ausgeladen wurden. Nachdem die Boote das Hindernis mittels Winden leer überwanden, konnten sie wieder eingeladen werden. Sicher ist, dass sie zunächst von Hand, später mit Pferdeunterstützung getreidelt wurden. Vor dem Bau der Schleuse im Jahre 1748 hat es vielfache Versuche gegeben, den Wasserlauf der felsigen Flusssohlen zu vertiefen.

Stand im Widerspruch dazu, dass  lt. Rühling  (S. 302) der felsige Untergrund direkt vor Neustadt bis zum Bau der Großen Leinebrücke 1687/ 94 noch kein besonderes Hindernis war?

Denn wenn man Rühling folgen darf, ist mit dem Bau der steinernen Brücke 1687/ 88 das Flussbett verlegt worden, um die Widerlager auf festem Untergrund anlegen zu können. Er erklärt andererseits:

„jedenfalls sind vor diesem Zeitraum keine Berichte über natürliche Hindernisse im Neustädter Leineabschnitt bekannt, wie sie nach 1687 im neuen Flussbett offensichtlich die Regel waren“  (Rühling S.111)

Erst mit dem Bau der Großen Leinebrücke seien wohl erst durch die Verlegung des Flussbettes die oberen Schichten des felsigen Untergrundes freigelegt worden. Entstanden erst dadurch die Stromschnellen, wie wir sie heute noch kennen und die der Schifffahrt den Weg versperrten?

Klages vermutet, dass

„ die Schiffe dann die Kleine Leine entlang bis zur Mühle fuhren und dann die die durch den Mühlenwerder von der Kleinen zur Großen Leine sich hinziehende Sandschleuse benutzten…. Zur Behebung dieser bestehenden Hindernisse baute man dann 1748 auf dem Mühlenwerder die Schleuse“.(Klages S 100)

Aber wann, seit wann und wie und ob die Sandschleuse benutzt wurde, können wir wie Klages nur vermuten. Man könnte  sich das so denken: Flussaufwärts reisende Schiffe wurden vor der Mündung des Sandschleusenbereichs ausgeladen. Die Schiffe wurden dann mit Hand oder Pferdekraft leer oder beladen bis  an die Kleine Leine gezogen, ggfls. wieder beladen und konnten ihren Weg bis zur Großen Leine fortsetzen. Flussabwärts könnte man sich das so vorstellen, dass das Wasser der Kleinen Leine mittels eines Wehrs aufgestaut wurde und die Schiffe dann nach Öffnen des Wehrs mit dem Wasserschwall abtreiben konnten.

Tatsächlich liegt dafür ein Beleg nicht vor.

Aber auch das Wasser-und Schifffahrtsamt  Braunschweig vermutet in einem Bericht aus 1984:

Bis zur Fertigstellung der Schleuse in Neustadt im Jahre 1752 gelangten die Schiffe durch eine Sandschleuse (einer Art unterwasserliegender „Schiefen Ebene“) in das Unterwasser des Mühlenwehres. Da das Gefälle der Sandschleuse jedoch zu steil für die Bergfahrt war, musste die Fracht in die dafür im Oberwasser des Mühlenwehrs bereitgestellten Lastenkähne umgeladen werden.

 Der Pläne aus dem Jahr 1757 & 1770

Der Plan von Fesca aus 1757 zeigt den „Sandschleusen- Graben“ vor der Mühle

Der Plan von Fesca aus 1757 zeigt den „Sandschleusen- Graben“ vor der Mühle

 

Nds HStA Hannover 12f Neustadt 7 pm: Plan der Stadt Neustadt von 1764

Nds HStA Hannover 12f Neustadt 7 pm: Plan der Stadt Neustadt von 1764

Neustadt am Rübenberge: Plan von 1770

Neustadt am Rübenberge: Plan von 1770

Der Plan aus dem Jahr 1770

In einem Plan von 1770, in dem eigentlich die Hand- und Spanndienste der umliegenden Dörfer verteilt sind, fehlt auch nicht die Darstellung der Mühle und des davor ablaufenden Grabens.

Winkel zitiert einen Bericht von 1831:

Der Kanal hat wegen des für die Mühle und Schleuse benötigten Staus wenig Gefälle. Die Folge davon war von Anfang an eine starke Versandung. Die starke Strömung der Leine beim Überfall ( d. i. der Wasserfall)treibt den Sand in den Kanal. Darum ist im vorigen Jahrhundert (also vor 1800) ein schon früher vorhandener Überfall dicht oberhalb der Mühle restauriert. Er diente früher zur Freiluft für die Mühle bei hohem Wasser und ist später eingegangen. Der Grundbaum desselben ist tiefer als der der Mühle und Schleuse gelegt……“

Die oben beschriebene zwischenzeitliche, vermutete Aufgabe der Sandschleuse zu Schifffahrtszwecken hätte sich also nach dem Bau der Schleuse 1752 verändert. Jetzt wurde ihre Bedeutung  zur Regulierung zu hoher Wasserstände und zur Entlastung der Mühle, die wohl zu hohe Wasserstände nicht vertrug, als Notüberlauf hervorgehoben.  Die Schwelle des Notüberlaufs also der „Grundbaum“, lag deshalb tiefer als der Mühlenüberlauf. Wir können uns vorstellen, dass bei vielleicht höheren Wasserständen die Sandschleuse ständig fließender  Bachlauf war. Irgendwann, ab 1890,  wird die Sandschleuse nicht mehr nötig gewesen sein, vielleicht auch weil eine modernisierte Mühle einen geregelten Notüberlauf seltener benötigte?

Die Begleitkarte zum Rezess von 1867/ 68 stellt den „Sandschleusen“- Graben noch als vollständig in sich geschlossene Parzelle dar.(Nicht beigefügt)

Die Lagebestimmung “Sandschleuse“  war in Neustadt noch 1920 ein stehender  Begriff, der keiner weiteren Erläuterung bedurfte, wie folgender Artikel aus der Leinezeitung vom 5. Juni 1920 belegt;

„Die Festsetzung der Badezeiten hat einen Protest der weiblichen Bevölkerung hervorgerufen, der in Gestalt eines Änderungsantrages mit zahlreichen Unterschriften vorlag, Es wird beschlossen, Montag, Mittwoch und Freitag die weibliche Bevölkerung baden zu lassen, ab n den übrigen Tagen die männliche. Auf Antrag des B.B.W. Frerking wird beschlossen, bei der Sandschleuse einen zweiten Badeplatz einzurichten, um das Baden an diesen Tagen für männlich und weiblich freigeben zu können.

 Der Plan aus dem Jahr 1940

Wirtschaftsplan 1940: Auch im Wirtschaftsplan der Stadt Neustadt aus dem Jahre 1940 finden wir den kompletten Graben dargestellt. (ARH Dep K 285)

Wirtschaftsplan 1940: Auch im Wirtschaftsplan der Stadt Neustadt aus dem Jahre 1940 finden wir den kompletten Graben dargestellt. (ARH Dep K 285)

Der Plan aus dem Jahr 1951

Ausschnitt aus dem Stadtplan Neustadts von 1951

Ausschnitt aus dem Stadtplan Neustadts von 1951

 

Grundkarte von 1959

Grundkarte von 1959

In der Grundkarte von 1959 erfährt der Graben erstmalig die offizielle Bezeichnung „Sandschleuse“.  Die dicke Balkendarstellung könnte noch etwas wie einen Damm, Überlauf o.ä. dargestellt haben.

Der Plan aus dem Jahr 2000

Plan aus dem Jahre 2000

Plan aus dem Jahre 2000

Im Jahre um 2000 ist der Graben im Plan nicht mehr vorhanden. Die Darstellung der stilisierten Bäume deutet den früheren Verlauf noch an.

Der Graben der Sandschleuse war bald verlandet und mit Büschen und Bäumen bewachsen. Er ist mehrfach mit grobem Bauschutt verfüllt worden. Sein Verlauf war jedoch immer gut zu erkennen.

Noch 2008 stellt Wilhelm Sölter – im Zusammenhang mit der erlaubten Stauhöhe vor der Mühle – fest, „Zum Zeitpunkt des Staurechts bestand laut Grundkarte von 1965 eine betriebsbereite Sandschleuse, die Überschwemmungen verhindern konnte (…) Im Laufe der Jahre wurde diese Sandschleuse unrechtmäßig zugeschüttet.

Die Region Hannover beantwortet in einer Zusammenfassung vom 27.6.2008 „Fragen zum Wasserrecht“ ua. wie folgt:

  1. Was ist die Sandschleuse?

Bei der Sandschleuse handelt es sich um einen Graben, der kurz oberhalb der Mühle vom Oberwasser abzweigte und in nordwestlich in Richtung der Leine verlief. Der Graben ist heute noch erkennbar. Ursprünglich war das Ufer der kleinen Leine in dem Bereich abgesenkt und mit Steinen befestigt. Das diente als Überlaufschwelle für Hochwasser. Es finden sich Angaben über die Länge dieser Schwelle von 20 und 24 m. In der Akte wird Herr Eckstein mit der Aussage zitiert, dass auf der Schwelle eine 3 Bohlen hohe Holzwand installiert war.

Herr Moldenhauer schrieb 1982, dass diese Bauwerk 1901 bei Eisgang zerstört wurde Die Mühle gehörte damals der Stadt Neustadt a. Rbge. Danach sei es nicht wieder hergerichtet worden. Endgültig sei 1945 das Ufer dort von englischen Truppen aufgefüllt worden, um eine Zufahrt zur Leineinsel zu schaffen,

In der Grundkarte 1: 5.000 von 1965 ist das Bauwerk noch dargestellt. Ob es tatsächlich noch vorhanden war, kann daraus nicht sicher abgeleitet werden, Mit Sicherheit war es 1978 nicht mehr vorhanden“.

Foto von 2015

Sandschleusen- Graben -leichte Senke rechts im Bild- , kaum erkennbar.

Sandschleusen- Graben -leichte Senke rechts im Bild- , kaum erkennbar.

In letzter Zeit werden Planungen aufgelegt, vor dem Wohngebiet Silbernkamp einen bis zu 3 Meter hohen Deich anlegen zu lassen. Er soll dem Schutz der Wohnbebauung die im Bereich der amtlichen Hochwasserzone  liegt , vor extremem Hochwasser dienen. In den Berechnungen für die Höhe des Deiches wird von Hochwasserständen ausgegangen, wie sie vielleicht alle 100 Jahre eintreten könnten.  Der Landkreis Hannover stellt dazu in seiner Genehmigung zum Bau des Begleitweges zur Kleinen Leine fest: „16.  Leinehochwässer können durchaus höher als anlässlich des Winterhochwassers im Jahre 1946 auflaufen. Die Wahrscheinlichkeit und Häufigkeit solcher Hochwässer sind jedoch gering anzusehen.

Nun hat sich die Natur aber bewiesen und einen Ausweg aus dem Dilemma aufgezeigt:

 Während der im Januar eingetretenen Überschwemmung der Leineauen hat sich  fast über Nacht die Sandschleuse geöffnet, riesige Wassermengen konnten  sich in den uralten Bachlauf ergießen und so einen wesentlichen Anteil an der Entspannung  der Hochwasserlage beitragen.

Neustadt am Rübenberge: Das Hochwasser hat die Sandschleuse wieder geöffnet.

Neustadt am Rübenberge: Das Hochwasser hat im Januar 2018 die Sandschleuse wieder geöffnet. Nach langer Pause hat sie sich wieder eindrücklich in Erinnerung gerufen. (Foto:Dyck)

Hochwasser in Neustadt am Rübenberge - die Leine läuft über.

Hochwasser in Neustadt am Rübenberge – die Leine läuft über.

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HD Febr 2018

  • Quellen u.a.:
  • Klages. Eduard , maschinengeschriebenes Manuskript 1950,  S. 100
  • Winkel, Wilhelm,
  • Geschichte der Stadt Neustadt am Rübenberge , 1966 , S 256
  • Rühling, Burkhard, Festung und Schloss Landestrost, Dissertation 1988
  • Leerhoff, Heiko, Niedersachsen in alten Karten, 1985
  • Archiv Region Hannover
  • Leinezeitung
  • Redeker, Dietrich, Hornheft Nr.4
  • Wikipedia
  • Region Hannover, Bericht vom 27.6.2008

Anlage:

 Ein unkritischer Bericht der Leinezeitung vom 5.12.2017

Ein unkritischer Bericht der Leinezeitung vom 5.12.2017

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