Bahnhöfe sind Eingangtore in Städte. Sie repräsentieren! Bahnhöfe geben Neuankömmlingen einen ersten Eindruck über den Charakters des Ortes an dem man angekommen ist -mit dem Bahnhof zeigt ein Ort sein Gesicht. Diese Aufgabe erfüllte einst auch der um 1860 errichtete Neustädter Bahnhof, zu Gründerzeiten ein sehr schmuckes Empfangsgebäude mit Verwaltungsräumen, Gastwirtschaft, Fahrkartenverkauf und Wartesaal in Mitten einer begrünten Parkanlage. Es war ein wichtiges und repräsentatives Eingangstor in die damals sehr fortschrittliche und innovativen Ackerbürgerstadt Neustadt am Rübenberge.

Nun ist das Bahnhofsgebäude wohl 150 Jahre alt und wenig ansehnlich. Ein wenig beachtetes Jubiläum. Doch „Es tut sich was am Bahnhof“ lautet eine Schlagzeile eines Neustädter Blatt vom September 2010. Ein Teil des historischen Bahnhofgebäudes wird renoviert und verpachtet.

Das ist ein guter Anlaß um die Geschichte des Neustädter Bahnhofs zu beleuchten und aufzuzeigen wie sich der Neustädter Bahnhof, der Bahnhofsvorplatz und der Busbahnhof im Laufe der Zeit entwickelten und veränderten.

Viele Jahrhunderte lang lag Neustadt in tiefen Schlummer, bis hier am 12. Dezember 1847 zum ersten Mal offiziell eine Eisenbahn auf der neugeschaffenen Schienenstrecke zwischen Hannover und Bremen hielt. Damit hatte auch Neustadt komfortablen Anschluß an die große, weite Welt. Der Dornröschenschlaf hatte ein Ende. Waren es zu Anfang noch täglich drei Reisezugpaare, kamen kontinuierlich weitere Züge hinzu, auch der Güterverkehr nahm ständig zu. Die Fahrzeit von Hannover nach Neustadt dauerte anfangs ziemlich genau 1 Stunde, heute ist sie in 20 Minuten zu schaffen. 1917 mußte die Stadt Neustadt darum kämpfen, daß auch der Eilzug von Hannover nach Bremen hier hielt, dem wurde erst 1920 stattgegeben. (Heute halten die S- und Regionalbahnen hier fahrplanmäßig 89 mal, 18 mal donnert ein IC an Neustadt vorbei. Hinzu kommen Hunderte lange, laute Güterzüge.

Ob es von Anfang an ein festes Bahnhofsgebäude gab? Die allgemeine Bauzeitung von 1851 beschreibt die Station noch als „interimistisch“ und aus früheren Bauhütten hergerichtet. Ebenfalls 1851 soll zum Bahnhofsgebäude eine „Wasserstation mit Windmühlenantrieb“, also eine windgetriebene Wasserpumpe, gehört haben[1]

Neustadt selbst hatte bis ins 20ste Jahrhundert hinein weder Wasserleitung. Abwasserleitung, Gasversorgung, geschweige denn eine Stromversorgung zu bieten Das kam alles sehr viel später. 1883 wurde die mitteleuropäische Zeit, MEZ; eingeführt. Damit galt auch in Neustadt nicht mehr die Kirchturmuhr, die genaue Zeit wurde von der Bahn bestimmt, die zur Einhaltung ihrer Fahrpläne ein einheitliches Zeitsystem brauchte.

Frontansicht des Bahnhofsgebäudes in Neustadt am Rübenberge in 2010

Frontansicht des Bahnhofsgebäudes in Neustadt am Rübenberge in 2010. Foto: Dyck

Das heutige Empfangsgebäude wurde erst einige Jahre später, um 1860, realisiert. Wir könnten daher jetzt, 2010, das 150jährige Jubiläum seines Bestehens feiern. Der ocker, rot, braun getünchte Backsteinbau gliedert sich in einen mittleren zweigeschossigen Hauptteil unter einem Walmdach und die beidseitigen flacheren,1 ½- geschossigen Anbauten. Der Mittelbau war für den Fahrkartenverkauf und die Wartehalle bestimmt, die seitlichen Anbauten beherbergten die Verwaltung und die Bahnhofswirtschaft. Unter dem Dach gab es Wohnräume unter anderem mit Stube, Küche, Speisekammer und vielen weiteren „Kammern“. Das Ganze ist kubisch schlicht gehalten, aufgelockert durch das umlaufende weiß gefaßte Zierziegelband, auffällig ist besonders der „Hannoversche Rundbogenstil“ mit seinen zwei und dreifach gekuppelten Fenstern. [2]

Die Postkarte des historischen Bahnhofsgebäudes und des Vorplatzes zeigt Bäume und Begrünung.

Die Postkarte des historischen Bahnhofsgebäudes und des Vorplatzes zeigt Bäume und Begrünung.

1907 wurde das Gebäude kräftig erweitert. Weitere Dienstzimmer und Warteräume kamen hinzu, Postkarten aus der Zeit nach dem Umbau zeigen auch den dabei entstandenen überdachten, seitlich erreichbaren Eingang, wie er auch heute noch besteht.

Die ursprünglich einspurige Gleisanlage reichte bald nicht mehr aus. Das Schienennetz wurde ständig erweitert. Für zwei Weichensteller wurden 1871 zwei Wohnhäuser errichtet, sie standen noch auf dem Bahnhofsgelände, direkt an der Landwehr beziehungsweise der verlängerten Marktstrasse, etwa gegenüber des heutigen Hotels Scheve. Ein zusätzliches neues Stellwerk westlich der Bahn direkt an der Schranke kam 1903 hinzu, ebenso später das Stellwerk an der heutigen Siemensstrasse. Bahnschranken wurden noch lange Zeit von Hand betätigt, bis sie automatisiert oder durch die Unterführung Landwehr ersetzt wurden. Ein viertes Gleis wurde 1912 zum Überholgleis umgebaut.

Anschlußgleise für die Eisenhütte, die Maschinenfabrik Schlüter, für die Firmen Mensen und Marwede, später auch Menke waren herzustellen.

Ein Güterschuppen (erweitert 1912), Verladerampen und Drehkreuze veränderten das Bild der Bahnanlage ständig. Für notwendige Erweiterungen zur Westseite hin war um 1894 viel Überzeugungsarbeit nötig, damit die Anlieger, voran der Zimmermeister Rischbieth, die benötigten Grundstücke hergaben. So konnte später auch westlich der Bahn eine Verladestation entstehen.

Der Bahnhof war Angelpunkt für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt. Maschinentransporte, Transport von Torf, auch von allen möglichem Vieh vom Huhn bis zum Pferd sowie landwirtschaftlichen Gütern waren neben der Personenbeförderung zu regeln. Auf Scheves Grundstück tat jenseits der Landwehr lange Zeit eine öffentliche Waage ihren Dienst, die von Fracht- und Fuhrunternehmen benutzt werden mußte, wenn Waren wie zum Beispiel Kohlen von Güterwagen auf die Fahrzeuge umgeladen wurden.

Im Übersichtsplan von 1900 sind die vielfältigen Aufgaben des Bahnhofes zu ersehen. [3]

Der historische Lageplan des Bahnhofs zeigt eine Gartenanlage und Grünanlagen

Der historische Lageplan des Bahnhofs zeigt eine Gartenanlage und Grünanlagen

Weitere Beamtenwohnungen sowie eine Retirade, (das ist ein öffentliches Toilettengebäude, hier direkt am Bahnsteig), vervollständigen die Anlage. Für den Bahnhofswirt wurden nicht nur ein Eiskeller, sondern auch eine Kegelbahn und eine Laube vorgehalten. Drehkreuze und Verladeschienen weisen auf einen regen Güterumschlag hin

Da Neustadt bereits seit 1907 ein eigenes Gaswerk betrieb, konnten seit 1911 der Bahnhofsvorplatz und die Innenräume mit Gasbeleuchtung versorgt werden. Über die Betriebskosten gab es schon damals ständige Streitereien zwischen der Stadt und der Bahn.

Der Bau war, alten Bildern und Postkarten zufolge, von einer im landschaftlichen Stil angelegten Parkanlage umgeben. Die Stadt Neustadt war frühzeitig um eine gute Ausstattung des Vorplatzes bemüht. 1896 zum Beispiel stellte sie einen Antrag auf Pflasterung der Wege mit Klinkern, das wurde von der Eisenbahnbetriebs- Inspektion in Bremen abgelehnt.

Historischen Antrag auf Bahnhofsverschönerung

Historischen Antrag auf Bahnhofsverschönerung

1919 wehrte sich der Magistrat der Stadt gegen eine bereits begonnene Abholzung von Bäumen mit der dringenden Bitte, sie als Zierde der Stadt stehen zu lassen. „Diese Bäume geben im Frühjahr und Sommer dem Bahnhofsvorplatz ein verhältnismäßig reizvolles Ansehen und bieten bei der Sommerhitze reichen Schatten“. Davon ist nichts übergeblieben.

Die colorierte Postkarte von 1907 zeigt den repräsentativen Bahnhof und Vorplatz

Die colorierte Postkarte von 1907 zeigt den repräsentativen Bahnhof und Vorplatz

Der Personen- und Güterbahnhof, zunächst für Postkutschen, auch für Pferdefuhrwerke zum Güterschuppen, war nur von der Landwehr (bzw. dem später in Marktstrasse umbenannten Teil östlich der Bahnschranke) her erreichbar. Auch nach Aufkommen des Buslinienverkehrs, war hier die einzige Zufahrt. Noch bevor in den 70erJahren die Herzog-Erich- Allee gebaut wurde, entstand von der Wunstorfer Strasse aus nördlich der Maschinenfabrik Schlüter über das Grundstück Freymuth und durch den früheren Clausingschen Garten eine neue Zufahrt, die bis zum heutigen Tage besteht. Außerdem wurde der rein funktionell geplante Busbahnhof gebaut. Auf Begrünung und Gestaltung des Bus- und Bahnhofsplatzes wurde komplett verzichtet. Reine Zweckmäßigkeit bestimmte die Umgestaltung und der einstige Charme ging dabei verloren.

In früheren Zeiten gab es für Fußgänger und die Post zusätzlich eine schmale Verbindung zwischen Wunstorfer Strasse und dem Bahnhof, den sogenannten Postgang. Die Post hatte keinen direkten Zugang zum Bahnhof, daher konnten die Postkarren, beladen mit Briefen und Paketen, zwischen der Druckerei Sicius und dem Privathaus Sicius (heute Parkplatz) auf kürzestem Wege zum Bahnhof hin und her transportiert werden. Wer aufmerksam hinsieht, kann zwischen den heute noch stehenden alten Gebäuden den einstigen Durchgang im Mauerwerk erkennen. Heute verläuft die fußläufige Hauptzuwegung über die Kreuzung Wunstorfer Strasse in Verlängerung der Marktstrasse zwischen dem Cafe Havanna und der ehemaligen Winterschule.

Busbetrieb in Neustadt um 1947 (Foto Köster)(4)

Busbetrieb in Neustadt um 1947 (Foto Köster)(4)

Folgendes Foto aus dem gleichen Blickwinkel im Jahre 2010:

Der Busbahnhof in Neustadt am Rübenberge im Jahr 2010

Der Busbahnhof in Neustadt am Rübenberge im Jahr 2010

Die auch heute auftretenden Probleme mit Gewalt und Vandalismus waren schon früher bekannt. 1908 wurde ein Tor am Güterschuppen gefordert, um „lichtscheues Gesindel“ abzuhalten, sowie die Schuljugend, die in den Mittags- und Abendstunden und Sonntags auf der Ladebühne und der Feuerrampe herumspielten. Unter der Ladebühne hielten „Strolche“ ihr Nachtlager ab. 1924 wurde Klage über eine Schlägerei, Unruhen und Belästigungen geführt.

Historische Beschwerde: eine Schlägerei am Bahnhof in Neustadt erregte die Gemüter

Historische Beschwerde: eine Schlägerei am Bahnhof in Neustadt erregte die Gemüter

Seine Aufgabe als repräsentatives Eingangstor in die City hatte das Bahnhofsgebäude im Jahre 2010 in Neustadt am Rübenberge schon lange verloren. Der Gastwirtschaft blieben die Gäste aus, die Bahnverwaltung ist nur noch mit dem db-Dienstzentrum und einem Schalter für den Fahrkartenverkauf präsent, einen Teil des Hauses nimmt eine Taxizentrale in Anspruch. Schnell ankommen, schnell wegkommen ist die Devise der Bahnreisenden. So bieten der Bahnhof und das Vorgelände heute einen wenig erfreulichen, ungastlichen Eindruck. Die bauliche Substanz des Hauses weist offene Mängel auf und die Vorderfront ziert noch, schlecht übermalt, die frühere Gastwirtschaftsreklame für Schaumburger Bier.

Morsche Balken sind keine Zierde für das vernachlässigte Bahnhofsgebäude

Morsche Balken sind keine Zierde für das vernachlässigte Bahnhofsgebäude

Marode ist auch so manche Tür. Das Gebäude ist vernächlässigt worden.

Marode ist auch so manche Tür. Das Gebäude ist vernächlässigt worden.

Bei der sonst gelungenen Renovierung der Bahnsteigzugänge und des Tunnels hat man diesen Bereich vernachlässigt. Es ist zu hoffen, daß sich das Bahnhofsgebäude mit der Sanierung wieder mit Leben füllt, so wie früher, als hier noch alle Fahrkarten verkauft wurden und es eine gutgehende und angesehene Bahnhofswirtschaft gab, in der auch mal ein zünftiger Skat gekloppt wurde.

Zur Zeit hat sich hier in teilweise renovierten Räumen  eine Pizzeria etabliert. Der Bahnhofsvorplatz wird nach völlig neuem Konzept für einen neuen Busbahnhof umgebaut. Dafür hat man 2014 die gesamte Häuserzeile zur Wunstorfer Straße hin abgebrochen.  Die Bundesbahn hat das Interesse am Bahnhofsgebäude vollständig verloren. Sie bietet das Haus. wie schon vor ein paar Jahren vergeblich, erneut zum Verkauf an.

 

Die Leinezeitung berichtet über das Bahnhofsgebäude

Die Leinezeitung berichtet über das Bahnhofsgebäude

 

HD 10/2010, 11/2014

Quellen, sofern nicht anders erwähnt: RAH in Neustadt, NRÜ II 179 und 188

  • [1] Neustädter Zeitung 14-4-1993
  • [2] Eine umfassendere Beschreibung s. „Baudenkmale in Niedersachsen, Region Hannover, Teil 2, 2005
  • [3] RAH, Neustadt, NRÜ II 179
  • [4] Foto aus RAH, Neustadt, mit frdl Genehmigung durch Foto-Köster

 

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