Im April 1945 befreiten britische Soldaten Neustadt am Rübenberge. Der erste Stosstrupp kam in der Abenddämmerung, am 7. April. Nachts gegen 22.30 Uhr erfolgte dann die Sprengung der großen Leinebrücke durch deutsches Sprengkommando, wobei 28 britische Soldaten den Tod finden. Was genau geschah an diesem Abend?

Es ist nicht mehr so einfach, Zeitgenossen zu finden und zu interviewen und es sind viele Gerüchte und Mythen über den Ablauf dieses wohl mit schwärzesten Abends in Neustadts Geschichte im Umlauf. Durch die Zitate dreier Quellen (Hannoversche Presse, Autor Ulrich Saft, Neustädter Zeitung) wollen wir der Sache auf den Grund gehen.

Aus der Hannoverschen Presse, Kreisbeilage Neustadt, 5.5.1950

Am 7. April 1945, nachmittags, richtete Neustadt sich auf die Besetzung der Stadt ein. Am Vormittag war Fuhrunternehmer Heinrich B. [Namen von der Rübenberge-Redaktion geändert.] aus der Mittelstraße im amtlichen Auftrag nach Wunstorf gefahren, um etwas abzuholen. Er konnte gerade noch rechtzeitig kehrt machen, als er von weitem die roten Mützen sah. Um 15 Uhr waren die Engländer vom Flughafen Wunstorf her in Bordenau eingedrungen und um 16 Uhr kamen einige Bauern in die Stadt, die berichteten: „In Poggenhagen sind sie und kochen Tee“. Die Neustädter warteten Stunde um Stunde, aber nichts geschah. Der monotone Schritt der Wachtposten, die das Brückensprengkommando in der Marktstraße aufgestellt hatte, ging den Bürgern auf die Nerven. „Es ist doch Wahnsinn, jetzt noch die große Brücke in die Luft zu jagen“. Die Zahl derer, die so dachten, überwog. Kaufmann B., Uhrmacher B.und Kaufmann D. gingen um 16 Uhr über die Brücke, um den Feldwebel, der die Pioniergruppe führte, zu bewegen, die gelben Zündschnüren zu zerschneiden. Der aber ließ sich auf kein Gespräch ein. Eine andere Gruppe Neustädter Bürger, Fabrikant M., Apotheker R. sen. und Oberst a.D. S. aus M. [ Ortsname von der Rübenberge-Redaktion geändert], hatte bei ihren Bemühungen den gleichen Misserfolg. Der Soldat bestand auf einen schriftlichen Befehl vom Major. Der aber saß in Otternhagen. Im Landratsamt hatten sich um 18 Uhr Landrat S., der Polizeichef, Kreisbrandmeister C. und Amtmann F. versammelt. Kaufmann B. bat den Landrat um Vermittlung zur Verhinderung der Brückensprengung, die möglicherweise schweres Leid für die Stadt heraufbeschwören würde. Doch Landrat S. sah sich außerstande, gegen den militärischen Befehl etwas unternehmen zu können. Man hatte wohl die Hoffnung aufgegeben, die Brücke noch retten zu können. Der Abend nahte. Von weitem hörte man einige Gewehrschüsse. Sonst blieb es ruhig. Die Bürger gingen zeitig in ihre Häuser. Viele richteten sich auf eine Nacht im Keller ein. Das Schicksal der Stadt musste sich in den nächsten Stunden entscheiden. Aber wie es sein würde, wusste niemand. Nur bei Gastwirt H. in der […]straße war spät abends noch Betrieb. Hier saßen einige Unentwegte und ließen sich das Leben nicht verdrießen. Unter ihnen war Heinrich B., der schon am Vormittag Tuchfühlung mit den Engländern genommen hatte und der junge Bauer Heinz Be. von gegenüber. Um 22.30 Uhr hörten die Neustädter hinter den verdunkelten Fenstern das Stapfen von Soldatenschritten. Für einen Augenblick riss jemand die Verdunkelung beiseite und schaute hinaus. Da waren sie, die Engländer. Sie hatten weinrote Mützen auf. Viele dachten Gott sei Dank, die Stadt ist heil geblieben und auch die Brücke. Die Engländer patroullierten lautlos durch die Straßen und zogen über die Brücken. In diesem Augenblick zerriss um 23 Uhr ein furchtbarer Knall die Stille der Nacht und zugleich die Hoffnungen der Einwohner. Scheiben klirrten, Türfüllungen flogen hinaus, und von der Leine her hörte man die Schreie der Sterbenden und verwundeten. Am nächsten Morgen wagten sich einige Neustädter an die Leine. Der westliche Bogen der 250 Jahre alten Brücke lag im Wasser und die Blutspritzer verrieten das Drama das sich hier abgespielt hatte. Gerade als die Engländer in Scharen auf der Brücke sich befanden, hatte der deutsche Feldwebel hinter dem Schützenplatzhäusern die Sprengladung ausgelöst. (Quelle: HP, Kreisbeilage Neu 5.5.1950)

Aus: Ulrich Saft – Krieg in der Heimat:

Besonders dramatisch war bereits am 7. April die Sprengung der Leinebrücke bei Neustadt am Rübenberge verlaufen. (Sämtliche Brücken bei Basse, Helstorf, Niedernstöcken und Bothmer waren von den deutschen Sprengtrupps dicht vor den britischen Panzerspitzen gesprengt worden). Das 7. Bataillon der 6. britischen Luftlande- Division hatte von Petershagen kommend, kurz vor Abend den Ortsrand von Neustadt erreicht. Es hätte hier ungestört zur Ruhe übergehen können. Aber irgendwas trieb die britischen Fallschirmjäger, noch die Leine- Brücke im Handstreich zu nehmen. Vielleicht versprachen sie sich einen Vorteil von der Dunkelheit, vielleicht war es nur der Ehrgeiz. Immerhin hatte vor wenigen Stunden das südlich von ihnen angreifende 12. Fallschirmjäger- Bataillon die Brücke bei Bordenau unzerstört nehmen können. Warum sollte das hier in Neustadt nicht auch gelingen? Den Auftrag zum Handstreich erhielt die 2. Kompanie des Majors „Tiger“ Reid. Sein Angriffsziel war die „Löwenbrücke“. Mit dem 4. und dem 5. Zug voraus schlich sich der Major an der Leine entlang. Unvermutet stand er plötzlich mit seinen Männern vor der alten Bogenbrücke. Von deutschen Soldaten war nichts zusehen und zu hören. Auf Handzeichen stürmte eine Gruppe unter Führung des stellvertretenden Kompaniechefs los. Als sie mitten auf der Brücke waren, sahen sie schemenhaft mehrere Fliegerbomben am Straßenrand liegen. Die Briten hetzten weiter. Da hämmerte auf deutscher Seite urplötzlich ein Maschinengewehr. Die Gruppe hatte einige Verwundete, erreichte aber dennoch das andere Brückenende und ging in Deckung. 20 weitere Briten, die der ersten Gruppe nachgelaufen waren, befanden sich in Brückenmitte, als sie das pausenlos schießende Maschinengewehr zu Boden zwang. Sie lagen dicht neben den Bomben und tasteten in der Dunkelheit nach den Sprengschnüren. Sie mussten versuchen, die Zündverbindung sofort zu unterbrechen. Da erfolgte die Detonation. Alle Briten die sich auf der Brücke befanden, kamen zu Tode. Die Gruppe auf dem rechten Ufer hatte vier Gefallene, alle anderen waren mehr oder minder durch Sprengtrümmer verwundet worden. „Tiger“ Reid war wie durch ein Wunder unverletzt geblieben. Erst jetzt erkannte er auf seiner Karte ein nahes Stauwehr (den Leinewasserfall?). Dort ging er mit einer Gruppe über die Leine und näherte sich vorsichtig der Sprengstelle. Hier kam es noch einmal zum Feuerkampf, bei dem zwei Deutsche fielen. Diese wurden später mit anderen, in der Nähe Neustadts Gefallenen auf dem Neuen Friedhof beigesetzt. Als die Reste des deutschen Sprengkommandos die Stadt geräumt hatten, konnten die Briten ihre Toten bergen. Sechs Verwundete brachten sie zum nächsten Haus. Dort öffnete ihnen Erika Najork. Zusammen mit deren Tochter Ursula versorgte sie die Verwundeten die ganze Nacht. Im Laufe des nächsten Vormittags brachte ein britischer Krankenwagen aus Bordenau die Verwundeten in das Neustädter Krankenhaus. 40 Jahre später kam Major Reid mit acht anderen Angehörigen des 7. Bataillons nach Neustadt zurück. Gemeinsam gingen sie zu „ihrer“ Brücke. Sie klopften auch an die Tür des alten Hauses an der Brücke. So wie in der Nacht des 7. April 1945 öffnete ihnen die nunmehr 84jährige Erika Naujork. Zwei Jahre nach dieser Begegnung ließ die Stadt Neustadt an der „Löwenbrücke“ eine Gedenktafel anbringen, die an das Geschehen erinnert. (Quelle:Ulrich Saft, Krieg in der Heimat)

Behelfsbrücke über die Leine in Neustadt. Aus: Saft: Krieg in der Heimat, Das bittere Ende zwischen Weser und Elbe. Seite 132.

Behelfsbrücke über die Leine in Neustadt. Aus: Saft: Krieg in der Heimat, Das bittere Ende zwischen Weser und Elbe. Seite 132.

Neustädter Zeitung vom 5.4.1995

Die Nacht an der Löwenbrücke — Bill „Ernie“ Elvin erinnert sich. Auftrag des 7. Fallschirmjäger- Bataillons war in den letzten Kriegshandlungen des Zweiten Weltkrieges gewesen, die Leinebrücke einzunehmen und für den weiteren Vormarsch zu sichern. Nach einem Hinterhalt am Wunstorfer Fliegerhorst und mehreren Verzögerungen erreichte der vierte, fünfte und sechste Zug der Einheit Neustadt am späten Abend des 7. April 1945. Alle Lichter der Stadt waren gelöscht und die britischen Soldaten hatten Mühe den Weg zur Brücke zu finden. Auf Widerstand trafen sie nicht; die unzähligen Schatten die aufgeregt vorbeihuschten schienen Zivilisten zu sein. Die Abteilungen fanden schließlich eine Straße, die zu einer Brücke führte und meinten am Ziel zu sein. Sie sicherten die kleine Leinebrücke doch der plötzliche Ruf: „Das ist die falsche Brücke! Da vorn gibt es noch eine größere!“, ließ alle wieder in Bewegung kommen. Der vierte Zug, Bill Elvin, erinnert sich noch gut daran, dass plötzlich mehrere Hindernisse im Weg lagen, über die sie einfach gestiegen sind. Was es war konnten sie in der Schnelle der Aktion und in der Dunkelheit nicht ausmachen. Aber Leutnant von der fünften Abteilung, der ihnen folgte, bemerkte es und sein Ausruf: „Die Brücke ist mit Sprengladungen verkabelt“, ließ die Männer seines Zuges rennen, so dass sie schon mit dem vierten Zug aufschlossen. Dann explodierten die Fliegerbomben schon. Es kam nie heraus wer die Bomben gezündet hatte. Insgesamt fanden 28 britische Soldaten den Tod, nur neun überlebten die Explosion. Die Verwundeten wurden von den anderen Überlebenden in dem Haus der Erika Najork, notdürftig versorgt. Zwei Freiwillige, unter ihnen Elvin, schwammen dann bei Tagesanbruch zurück, um Major Reid und den Kameraden des sechsten Zuges, die am anderen Ufer zurückgeblieben waren, Bericht zu erstatten und weitere Hilfe für die Verletzten zu holen. „Ich wäre in der Strömung der Leine beinahe noch ertrunken“ erinnert sich Elvin heute, „wenn ich gesehen hätte, dass der Fluss Hochwasser hat, hätte ich mich nicht freiwillig gemeldet“. Mit Booten ging es am anderen Morgen zurück; ein Haus wurde für die Verwundeten geräumt, die Toten zunächst in der Nähe beerdigt. (Quelle: NZ 5.4.1995)

Gedenktafel an der Leinebrücke:

Gedenktafel an die Sprengung im April 1945 and der Löwenbrücke
Löwenbrücke – Gedenktafel zur Sprengung im April 1945

Text der Gedenktafel an der Löwenbrücke:

LÖWEN BRÜCKE HISTORISCHER LEINEÜBERGANG SEIT 1269

MASSIVE BOGENBRÜCKE ERBAUT UM 1687-

AM 7. APRIL 1945 WÄHREND DER LETZTEN KAMPFHANDLUNGEN IM ZWEITEN WELTKRIEG GESPRENGT-HIERBEI VERLOREN VIERUNDZWANZIG BRITISCHE SOLDATEN IHR LEBEN- STADT NEUSTADT AM RÜBENBERGE 7. APRIL 1987-

THIS MEMORIAL IS DEDICATED TO THE MEMORY OF ALL THOSE, WHO LOST THEIR LIVES IN THE ACTIONS TO THE CAPTURE OF THIS BRIDGE ON 7TH APRIL 1945- AT THE GOING DOWN OF THE SUN AND IN THE MORNING WE WILL REMEMBER THEM- REUNION ASSOCIATION OF THE 7TH BATTALION (LI) PARACHUTE REGIMENT 7TH APRIL 1987

Karte

[CD, Oktober 2006]


 

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