In Neustadt liegen noch die Kirchenbücher seit 1680 vor. Bis auf einige fehlende Jahrgänge sind sie vollständig erhalten und sehr präzise geführt. Mit heutigem Blick auf die Gesellschaft  erscheinen einige Einträge und Ansichten der damaligen Zeit recht abstrus. Wir haben recherchiert: Aus den Kirchenbüchern: Von Hurenkindern und anderen Absurditäten wollen wir an dieser Stelle berichten.

Der jeweilige Schriftführer, meistens wohl der Pastor selber, hielt in den Taufregistern in der Regel genaue Angaben über die Herkunft der Kinder und deren Eltern fest. Im Normalfall wurde der Vater, fast nie die Mutter,  der Kindsmutter und sein Beruf bzw. sein gesellschaftlicher Stand- Bürger und Brauer- genannt. Im hier betrachteten Zeitraum zwischen 1680 und 1750 wurden in Neustadt jährlich zwischen 45 (1718) und 10 (1709) Kinder geboren. Neustadt war auch Garnisonsstadt und die Soldaten, die vermutlich größtenteils in den Bürgerhäusern untergebracht waren, waren auch mit einheimischen oder mitgebrachten Frauen verheiratet.

Der Anteil an von Soldaten gezeugten Kindern, der immer extra aufgeführt wurde und in einigen Jahren bis zu einem Drittel aller Geborenen betragen konnte, kann daher nicht überraschen.

(Das Verhältnis der von Garnisonsoldaten zur Stadtbevölkerung zu untersuchen wäre eine andere Aufgabe;    1685: 11 Soldatenkinder von insgesamt 32 Taufen, 1892 sogar 12 von 31. Im Ganzen sind von den folgend aufgeführten 65 Hurenkindern 33 mit einem Soldaten als Vater bezeugt).

Bis 1688 werden uneheliche Kinder nicht erwähnt, unklar ist, ob es keine gab oder ob die Erwähnung nicht für erforderlich oder wünschenswert gehalten wurde.

Über die Taufe von normal geborenen Kindern wurde ganz sachlich berichtet

Handschrift 1688

Beispiel aus 1688:

..Novembr hatt Harm Ristenpatt ein Bürger und becker allhie seine Tochter zu der H. Tauffe gesandt, welcher Nahme ist Anna Hedewig gegeben. Die Gevattern seyn 1. Johann Dieterichs Fr.: 2. Friederich DettmeringsFr: M: Philipp Hachmeister der Müller allhie

Beispiel aus 1717:

Den 17. Mart ist des hiesigen Kellerwirths Kallmeyer Ehefrau mit einem jungen Sohn niederkommen, welcher dem 20ten ejusd…  getauft und Carl Christian genannt. Gevatter: der hiesige Richter Harmen Ristenpatt

Es sind fast immer die Väter und ihr Beruf, die genannt werden, wenn die Tochter ein Kind geboren hat, die Mütter der Kindfrauen werden selten mit Namen genannt. Dagegen wurde die „uneheliche“ Geburt hervorgehoben. Schlimm wurde die Geburt von „Hurenkindern“ angezeigt.

Wortwahl im Kirchenbuch

Da  war in der  Regel die Empörung des schriftführenden Pastors aus den immer wiederkehrenden Bezeichnungen Hurenkind oder Hur Kind, auch ehebrecherisches Hurkind herauszulesen. Diese Kinder wurden auch mit dem Makel des Hurenkindes beerdigt. Die Mütter der Hurenkinder wurden nur sehr selten auch als Hure bezeichnet.

So hat schon 1696 eine Pastorentochter aus Helstorf ihr bereits drittes Hurenkind taufen lassen.

Auch 1719 ist Anne Elisabeth leyder zum dritten Male mit einem unehelichen Kinde niedergekommen. Ob es sich um die gleiche Mutter handelt, die schon 1717 das an Schürchen gestorbene Hurkind beerdigt hat, ist wegen der Namensgleichheit anzunehmen.

1717 hat sich die Tochter eines Bürger und Brauers, eines offensichtlich honorigen Mannes, „zum anderen Male“ beschlafen lassen und ist mit einem unehelichen Kinde niedergekommen. Der angebliche Vater, ein Tambourmajor, gibt zu bedenken, dass ihn diese Tochter dazu verleitet habe, sich fleischlich zu vermischen. Da er aber mit seiner Companie verlegt worden war, blieb er dabei, nicht der Vater des Kindes sein zu können. Desungeachtet hat man mittels eines Geldangebotes doch versucht, dass er sich zur Vaterschaft bekennen sollte!

1719 ist ein Mädchen „zum anderen mahle mit einem Hur Kinde niederkommen, welches sie in Hannover von einem Conditor  erworben habe.“
Maria Marlene St. hat eine Tochter aus unehligen Beischlaf zur Weld geboren. Der namentlich bekannte Vater, ein Musquetier von Campens Regiment, ist jedoch weggelaufen.
Auch 1723 ist der angegebene Vater eines Huhr Kindes, Soldat im von Campen Regiment, desertieret.

1726 hat ein Paar Glück gehabt, weil die Ehefrau gleich nach der Copulation (also der Heirat) mit einem Sohn niederkam. So wurde das Kind  ganz knapp noch ehelich geboren! Sicher durfte die Mutter nur „ohne Kranz“ in die Kirche gehen!

Ein Jahr, 1727  später scheint sich der schriftführende Pastor doch besonders aufgeregt zu haben: da hat Frau J.Andreen nicht nur ein uneheliges Kind zur Welt gebracht, es wird zur 4 Tagen späteren Taufe als  solches ehebrecherisches Hur Kind bezeichnet. Der Vater war bereits andernorts verheiratet, Querpfeifer in des Herrn General von Campen Regiment.

5 Jahre später, 1732,  ist dieselbe Frau J. Andreen, welche gebohren vor hin 2 Hur Kinder gehabt, zum dritten mahl mit einem Hur Kinde niedergekommen. Der Vater ist wiederum der Soldat und Querpfeifer aus dem Regiment des General Major von Campen.

1735 ist Engel Catharina Nordhusen mit einem Hur Kinde, so in Gefängnis von einem Diebe namens Heidorn. So wel(lcher hier gehenket? oder? ) gezeuget niedergekommen.

Bemerkenswert ist die Geschichte, die 1736 in den Annalen steht und vollständig übernommen werden soll:
10. N.N. Johan Wilhelm, (Kind der Dorothea Baxmann).

d. 25. April ist die hiesige Ambts schließersfr.  nahmens Dorothea … … Johann Baxeman vormahls Ambts schließer hir selbst schon einige Jahre weg gelofen, mit einen uneheligen Sohnnieder kommen, und hat bis dato durch alles zu reden zu keine weder vor bey und nach der gebuhrt können gebracht werden, daß sie den Vatter des Kindes nicht kenne auch zu nennen wisse und giebt vor dass sie auf dem Wege nach Hannover den bösen Jammer bekommen und dass sie in solchen umständen müsse geschwängert seyn, von einen Kerl im weißen Kittel, welcher, wie sie sich von dem jammer erhohlet, bey ihr gesessen, bald aber darauf von ihr gegangen und nicht gesaget wer er sey. Ob diese fast unglückliche Aussage wahr oder nicht muß man vorerst Gott und der Zeit anheim geben, in zwischen ist besagtes Ehebrechers Huhr Kind d. 27. Ej. zur Taufe beferdert und gennenet Johann Wilhelm und hat die Bademutter des hiesigen Stadrichters Kalmeiers Frau in Ermanglung derer Gevattern zur Tauffe gehalten.

Der Begriff „Hure“ wird selten verwendet, aber doch, ob die Mutter  das zweite oder bereits dritte Hurenkind zur Welt gebracht hatte. Der Ton der Eintragung lässt erkennen, dass dieses durchaus herabsetzend gemeint war. Der Vater wurde nicht immer erwähnt, es konnte sich dabei um Mitbewohner des Ortes (z.B.: “ein Leineweber“), Auswärtige, aber auch um Soldaten, meistens aus der Garnison, handeln. Erwähnt werden „Musketiere“, auch ein „Capitain Lieutnant“ sogar ein „Edelmann“.

Auch ein gemeiner Dieb wird als Vater benannt, ein Kind wurde im Gefängnis geboren. (1735)  Eine Mutter, die schon 12 Jahre im Armenhaus gewesen war, hat sich von einem widerlichen Kerl beschlafen lassen. (1750). Diese Mutter wurde aus dem Armenhaus zu Teufel gejagt.

Der Vorgang der fleischigen Vermischung (1717):  so sich zum andern mahle beschlaffen laßen“ wird auch so erklärt, dass das betreffende Opfer sich in Sünde gestürzt hatte oder dass der unsaubere Hurenteuffel hausieret war.  (1689) In wenigen Fällen wurde geheiratet, wenn die Schwangerschaft schon bekannt oder sichtbar war. Dann wurde die Braut nur ohne Kranz getrauet, weil solche bereits geschwängert zu früh bei geschlaffen war. (1726)  Auch hat die Braut..propter anticipar ohne  Kranz in die Kirche gehen müssen (1751) Vermerkt wird auch: … Soldat hat das Mensch zu früh beschlafen (1751)
Der Kirchgang zur Trauung ohne Kranz war durchaus als Schande zu verstehen.

Klassengesellschaft

Sollte jedoch die Geburt eine Kindes aus bestem Haus von Honorationen oder gar vom schriftführenden Pastor selbst vermeldet werden, konnten die Eintragungen gar nicht blumig genug ausfallen, Da hat die Mutter „gnädiglich entbunden“,man wurde mit einem „jungen wohlgestalteten Söhnlein erfreut“ und natürlich waren die Gevattern, also die Paten,  eines hohen Standes, nicht unter Pastor oder Superintendent.1727 hat die Frau des Superintendenten Glück gehabt: einen Tag nach der erschrecklichen und schnellen Feuersbrunst(gemeint ist der Große Brand von 1727 als fast die genze Stadt dem Feuer zum Opfer fiel), ist sie mit einem gesunden und wohlgestalten Töchterlein nieder kommen. Die Superintendentenfamilie durfte auch auf das hiesige Königl. Ambte retirieren.

Die meisten Eintragungen „normaler“ Geburten zwischen dem “Hur- Kind“ und den euphorischeren Mitteilungen bewegen  sich aber in sachlichem Ton. Über das weitere Schicksal der unehelichen Kinder und ihrer Mütter hingegen lässt sich aus den Kirchenbüchern nichts herauslesen. Es ist zu vermuten, dass man mit ihnen nicht gut um gegangen ist. Überhaupt geht aus den Aufzeichnungen nicht hervor, ob Gewalt eine Rolle spielte, auch über Abtreibungen ist nichts bekannt.

Zu den besonderen Tatsachen, die es verdienten festgehalten, zu werden gehört die verweigerte Übernahme einer Patenschaft im Jahre 1716: Die honorigen Eltern waren der Ehemann, Stadtrichter und späterer Kellerwirth, die Frau spätere Bademutter als Mutter einer jungen Tochter. Die Gevattern waren immerhin der Superintendent und der Amtskommissar.

Madam Grünbergen ist zwar auch zu Gevattern gebeten, aber sie hat den Gevatterbrief zurückgegeben und nicht annehmen wollen. NB So verächtlich halten die Sünder Welt Gottes theure Sakramenta. Gott vergebe ihnen.

Das eine Patenschaft abbgelehnt wurde, war wohl sehr ungewöhnlich. Welche Animositäten da wohl eine Rolle gespielt haben?

1719 passierte eine peinliche Verwechslung.
Da hat eine Ehefrau  Zwillinge geboren, die, weil sie sehr schwach waren, unverzüglich zu Haus getauft wurden. Das erste Kind erhielt den Namen David, das andere Anne Christine. Erst später  stellte sich heraus, dass das für einen Knaben gehaltene Kind ein Mädchen war. Als das Vertauschen des Geschlechts auffiel, wurde das erstgeborene nochmals getauft und erhielt den Namen Catrine Margarete.
Die Bademutter aber ist ernstlich angedeutet künftig genauer und vorsichtiger zu sein.

Das sichtbare Zeichen einer ehrwürdigen Braut war der Kranz. Eine Schwangere durfte zur Trauung keinen Kranz tragen. 1756 hat eine Braut propter anticipat: concub: ohne Kranz in die Kirche gehen müssen.
Besonders dreist war eine Braut, die nicht als Jungfer aufgeboten und copuliert und demungeachtet hat das freche Mensch sich einen elenden Kranz aufgesetzet. Der Bräutigam hat darauf einen „Crantzthaler“ bezahlen müssen.

In einem Fall hatte der trauende Pastor wohl nur den Verdacht einer Schwangerschaft. Er notiert daher …Soldat hat das Mensch zu früh beschlafen.
Eine andere Braut ist vorsichtshalber mit dem Kranz nicht in die Kirche kommen, weil sie des frühzeitigen Beischlafs verdächtig war. Die Zeit wird’s lehren.

Die Relegion

Eine Tatsache fand in den Kirchenbüchern naturgemäß keine Erwähnung: die Religion. Die Neustädter Bürger waren sowieso überwiegend evangelisch. Daher fällt auf, als 1756 ein in hiesiger Guarnison liegender Soldat, papistischer Religion und seine Ehefrau, französischer Religion ihren Sohn in hiesiger Kirche, also evangelisch taufen ließen.

Die Meldung von der unehelichen Geburt von des Scharfrichters Sohn ist insofern interessant, weil die Paten des Kindes Neustädter Bürger waren. In der Regel halten die Scharfrichter- und Halbrichterfamilien zusammen, heiraten auch nur untereinander. In den akribisch geführten Annalen über Scharfrichterfamilien und deren Gehilfen sind diese jungen Leute aber nicht aufgeführt, ihr Schicksal verbleibt also im Ungewissen.

Als Beispiel für den Zusammenhalt der Scharfrichterfamilien dient auch die Nachricht aus 1756. Eine Frau, die ihren Namen nicht genannt hat, hat auf ihrer Reise von Herford nach Hannover „wegen Verwandtschaft“ beim Scharfrichter Stats Clages Station gemacht und dort ein Kind zur Welt gebracht. Es ist zwar hier getauft worden, die Namen des Kindes und der Eltern blieben ihr Geheimnis.

Uneheliche  und früh gestorbene Kinder wurden „in aller Stille“  im Gottesacker begraben. Das heißt, es war kein Glockengeläut zulässig, die Beerdigung fand ohne Ansprache und wenig Begleitung statt. Oftmals waren Krankheiten Schuld wie die „Schürchen“, Diese Krankheitserreger, vergleichbar mit den heutigen Masern, waren sehr verbreitet.

1718:
Den 2. Jun ist des Kellerwirths Söhnlein Carl Christian (Kall?) meyer an Schürchen gestorben u. darauf den 5ten ej.des Abends in der Stille beerdigt. otat.9 hebdomad

Die Führung der Personenstandsbücher änderte sich zur Besetzung des Hannoverlandes durch die Franzosen nach 1813 total. Die Personenstandsdaten sollten eigentlich zivil von Amtswegen geführt werden, diese Aufgabe wurde aber an die Pastoren rückübertragen. So hatten diese besonders viel Arbeit mit der Führung der Bücher, weil die Franzosen mit einfachen Angaben nicht zufrieden waren. Sie wollten auch alle möglichen Verwandtschaftsverhältnisse, Ereignissen u ä. akribisch genau wissen. Das führte für einen Bericht über Geburt, Trauung Beerdigung oft zu mehreren Seiten. Damit war wohl die totale Überwachung der Bevölkerung geplant.

Erst seit 1875 werden die Personenstandsdaten durch das zivile Amt in der Regel das Standesamt geführt, so wie wir es noch heute kennen

 

Quellen:

  • Kirchenbücher, Unter Verwendung der von Dieter Barby bearbeiteten Kirchenbücher aus Neustadt a. Rbge von ca. 1680 – 1750
  • www.ruebenberge.de, verschiedene Beiträge