Die Scharfrichter von Neustadt
In diesem Beitrag untersuchen wir Quellen und Überlieferungen über die Tätigkeiten von Schaftrichtern in Neustadt, beginnend zu den Zeiten Herzog Erichs des II bis ins Jahre 1817.
Der Scharfrichter (der mit der Schärfe des Schwertes Richtende) ist ein besonderer Beruf. Der Scharfrichter vollstreckt seit dem Mittelalter die Todesstrafe. Früher war auch der Begriff Carnifex gebräuchlich, heute wird synonym dazu die Bezeichnung Henker verwendet – ursprünglich der Vollstecker einer Hinrichtung durch „Henken“. (Aus Wikipedia, Scharfrichter)
Über die Tätigkeit von Scharfrichtern, Henkern oder Abdeckern ist aus der Zeit vor Herzog Erich II. nichts bekannt. Erich II. aber hat 1572 in Pattensen 41 Frauen und noch im selben Jahre in Neustadt weitere 6 Frauen verbrennen lassen. (Ernst- Günther Haarhaus in Leinezeitung o.D.) (Siehe auch: Hexenverbrennungen im Zentrum von Neustadt am Rübenberge? Recherchen zu den Hexenprozessen unter Erich dem Zweiten)
Folter unter Herzog Erich dem II.: Methoden seiner Scharfrichter
In diesem Zusammenhang sind die mit „peinlichen Fragen“ verbundenen Verhöre der als Hexe angeklagten Frauen überliefert. Sie wurden im Schloss vom Amtmann von Neustadt, Joachim Brandes, der auch als „Inquisitor“ fungierte, dem herzoglichen Kammerdiener Wilhelm Berg und dem Sekretär Johannes Romhardt vollzogen. Die Zeiten ware damals noch viel grausamer. Einzelheiten der „peinlichen Befragung“ ersparen wir uns hier. Besonders anrüchig wurde die Geschichte selbst für die damalige Zeit, als an den fürstlichen Höfen bekannt wurde, dass oftmals Herzog Erich II. selbst an den peinlichen Befragungen teilnahm und viele Verhöre vor seinem Schlafzimmer oder seiner Nähe durchführen ließ. Erwähnt wird in Zusammenhang mit den Hexenprozessen in Neustadt „der Schinder Hans der Nordhäuser“. Ob er auch als Scharfrichter, „den Tod durch Feuer, verschärft durch vorheriges Reißen mit glühenden Zangen“ durchführte, wissen wir nicht. Auch nicht, ob er überhaupt aus Neustadt stammte.
Die Zeit nach Herzog Erich dem II.
Nach diesen Hexenprozessen folgten Jahrzehnte, in denen ein Scharfrichter sich „nicht zu überarbeiten brauchte„. (Horn- Heft) Es war wohl eine bessere Zeit.
Im Gerichtsort Neustadt hatte der Henker in einem Zeitraum von 100 Jahren nur dreizehn Missetäter vom Leben zum Tode zu befördern, sieben mit dem Abschlagen des Kopfes und fünf durch den Strang. Eine Kindesmörderin wurde durch Ertränken getötet. Es ist aber nicht überliefert, welcher Scharfrichter wo und welche Hinrichtungen vorgenommen hat.
Lediglich von Halbrichter Pohl aus Wunstorf ist bekannt, dass er – sozusagen als Meisterstück- eine Missetäterin in Wölpe mit einem Streich tötete und mit einem Preisgeld von 30 Talern vollbestallter Scharfrichter in Neustadt wurde.
Ob die Neustädter Scharfrichter ebenfalls ein solches Schwert besaßen und wo dieses verblieben sein könnte, ist nicht überliefert.
Die Enthauptung durch das Schwert hieß im Amtsdeutsch „ Decollieren“. Zum Beispiel wurde 1766 in Holtorf und Heemsen- wohl nicht durch den Neustädter Scharfrichter- eine Kindesmörderin mit dem Schwerte vom Leben zum Tode gebracht, und derselben Kopf auf einen Pfahl geheftet. (Barby S.300)
Als „Nachrichter“ hatte er außer Hinrichtungen aber auch geringere Straftaten zu ahnden. (Nachrichter, weil er sein Amt nach dem des Richters ausübte). Seine Aufgabe war es zunächst, Gefangene dingfest zu machen und ihr Geständnis zu erhalten oder zu erpressen. Dann sollte er ihm die Folterwerkzeuge zeigen, (das Terrieren), und sie anwenden, (Torquieren). Das Aufhängen mit dem Strick nannte sich „Strangulieren“.
Das Gefängnis der Scharfrichter in den Kasematten des Schlosses von Neustadt am Rübenberge
Noch 1709 befand sich im Neustädter Gefängnis an Marterinstrumenten: „zwei Sprenger, wobei an einem zwei Beinschienen fehlen, eine „spanische Jungfer“, ein eisen Elend mitt Arm- und Beinbolten, vier komplette lange Geschirre mit vier Schlössern, drei „hölzerne Sprenger“.
Um 1720 ist in den Kasematten das Gefängnis bezeugt. (Winkel S 124).
Die doppelte Eichentür, die hineinführte, war mit eisernen Bändern beschlagen und mit eisernen Stangen in der Breite und Höhe gesichert. Die Tür hatte ein Loch zum Durchreichen der Speise. Aus dem Jahre 1742 wissen wir von „herkömmlichen Geräten zur Fesselung der Gefangenen; ein großer Block mit vier Beinlöchern und zwei doppelten Ketten, eine lange eiserne Kette, drei kleine Blöcke mit Krampe und eiserner Kette“.
Der Schandpfahl
1766 soll der zur Gilde gehörende Landzimmermeister Heinrich Friedrich Kahle aus Empede wegen eines Diebstahls von Brettern beim Königlichen Amte in Neustadt am Halseisen gestanden haben.
Klages berichtet von Erinnerungen eines alten Neustädters, wonach an der Schlossstraße, im Poppe‘ schen Garten, noch im 19.Jh. ein sogenannter Schandpfahl gestanden habe. Er diente der Verbüßung kleinerer Vergehen. Schon allein das Vorhandensein eines solchen Pfahls hat sicherlich manchen von Straftaten abgehalten, um nicht stundenlang oder einen ganzen Tag öffentlich am Pranger stehen zu müssen.
Der Galgenberg
An der Straße Hannover- Bremen etwa 1km südlich von Neustadt befand sich der Galgenberg, früher ein hügeliges mit Buschwerk bestandenes Ödland das zwischen den Weltkriegen urbar gemacht wurde. (Barby S 275)
Am 4. Januar 1798 wird von der Aufrichtung eines Militärgalgens auf Befehl Georg III berichtet. Daran waren wohl widerwillig mehr als 20 Meister, Gesellen und Lehrlinge aus Neustadt beteiligt. Damit sie wegen dieser fragwürdigen, auch „ unehrlichen“ Arbeit keine Nachteile erleiden sollten, verfügte der Senator Brandes: Und soll deswegen niemand einer dem anderen von uns und unsere Nachkommen den geringsten Vorwurf machen bei schwerer Strafe und obrigkeitlicher Ahndung. Die Arbeit am Galgen wurde somit sozusagen als „ehrlich“ erklärt. (Klages S. 275)
Die Scharftrichter
Durch seine Foltertätigkeit konnte der Scharfrichter leicht anatomische Kenntnisse erwerben, besser als die „studierten Ärzte“. Wegen seiner Verpflichtung, freigesprochene Missetäter von den Folgen seiner Folterung zu heilen, musste er auch über ein gewisses medizinisches Geschick verfügen. Das erklärt auch den daraus entstandenen Beruf des sogar studierten Chirurgen, der auch in Militärdiensten seine Rolle fand und lange auch als nicht ehrbar galt.
Über speziell Neustädter Scharfrichter, Halbmeister, Chirurgen, Abdecker, deren Knechte wissen wir bis 1616 sehr wenig.
Um 1616 wird Jürgen Farnecke, Abdecker und Scharfrichter erwähnt, um 1655 war Matthias Schlick Abdeckerknecht. Aber noch 1639 holte man zu einer Exekution „Meister Martin“ aus Hannover.
Nach eigenen Angaben war Hans Claus bereits seit 1642 als Scharfrichter tätig gewesen. Erst 1666 wurde er in Neustädter Kirchenbüchern namentlich erwähnt. Da wurde er zum Scharfrichter mit der „Meisterschaft und Abdeckerei“ in Neustadt und den umliegenden Ämtern bestellt. Das beinhaltete nicht nur die Pflicht, sondern auch das Recht zur Beseitigung und Verwertung von Tierkadavern. Das trug wesentlich zu seinem Einkommen bei. Wie einkömmlich dieses Geschäft war, zeigt sich sogar noch 1815. Bauern hatten Hornvieh, welches an Lungenseuche erkrankt war, selbst geschlachtet und so den Abdecker und Scharfrichter Hartmann um Verwertung der Haut bringen wollen. (Barby, Eph 180 KA Neu) Dem „Meister“, wie er genannt wurde, standen Gehilfen zur Verfügung, die „Halbmeister“ genannt wurden.
Der Nachname Clauss war im 17. Jh. unter Scharfrichtern und Abdeckern sehr verbreitet. Der Scharfrichter von Lemgo, Hans Claus, nannte sich später Clausen. Der Neustädter Hans Claus (auch Clauß) modernisierte seinen Namen ab etwa 1680 vornehmer in Clages oder Klages. (s.Barby, 1574) Dieser Name blieb in der Folge auf den Neustädter Raum beschränkt. Scharfrichter Hans Claus / Clages, übte sechs Jahre lang, seine Familie vier Generationen lang das wenig angesehene, aber offenbar gut bezahlte Amt des Nachrichters aus. Der Sohn, Scharfrichter Meister Johann Philipp Clages, baute sich 1739 ein eigenes Haus. Leider wissen wir nicht, wo die Familie früher gelebt hat und wo sein Haus stand, auch nicht wo die Abdeckerei betrieben wurde.
Aber dass Meister Hans Klages, Nachrichter, für sich, seine Frau 4 Kinder und den Knecht ziemlich hohe Steuern bezahlt hat, ist aus der Kopfsteuerbeschreibung von 1689 ersichtlich. Mit über 4 Talern der dritthöchste Betrag in der Stadt nach den Herren von Campen (10 Taler) und dem Obristleutnant Heine (6 Taler)!
Bildnisse von Neustädter Scharfrichtern sind nicht überliefert. Stellvertretend zeigen wir hier Bilder von anderen Scharfrichtern des 17. Jahrhunderts. Das es überlieferte Abbildungen von Scharfrichtern gibt, fanden wir bemerkenswert. Möglicher Weise war der Beruf so einträglich, dass die Personen die Darstellungen selber in Auftrag gaben. Vielleicht wollten aber auch andere Bürger ein Dokument hinterlassen.
Heiraten konnten vorrangig nur innerhalb der Scharfrichter- und Abdeckerfamilien stattfinden. So ist die Geschichte der Neustädter Familie Klages ganz typisch:
- Die Ehefrau von Hans Clages war eine geborene Farnecke, ebenfalls aus einer Scharfrichterfamilie.
- Der erste Sohn, Johann Philipp Clages beerbte seinen Vater in Neustadt,
- der zweite Sohn, Hans Caspar Clages wird Scharfrichter in Northeim und Stadtoldendorf.
- der erste Sohn, Johann Philipp, der in Neustadt geblieben war, hatte 12 Kinder.
- Eine Tochter, Anna Cathrin, heiratete einen Scharfrichter in Vechta,
- eine andere Tochter, Eva Rosine, heiratete Jost Koopmann, Halbmeister in Diepholz.
- deren Sohn Johann Ludwig Koopmann wird Scharfrichterknecht in Blomberg.
- der letzte Scharfrichter namens Klages war Staats Georg Klages und wurde 1765 abgesetzt.
Das uneheliche Kind eines Scharfrichtersohnes
Mit einer Betrachtung des folgenden Ereignisses aus dem Jahre 1743 versuchen wir, die soziale Stellung der Neustädter Scharfrichter zu beleuchten.
1743 wurde in das Neustädter Kirchenbuch eingetragen: (Am) 12ten Juli ist des hiesigen Stadt Richters Anton Kalmeiers dritte Tochter, Sophie Kalmeiers mit einem Hurkinde niederkommen und hat zum Vater angegeben des Scharfrichters Sohn Hinrich Clages. Das Kind ist getauft d. 14. Ejusd und genannt Johann Wilhelm. Die Gevattern sind Johann Heinrich Reer, Wilhelm Biermann.
Sophie Kalmeier kam mit einem unehelichen Kind nieder, der Vater war der Sohn des Scharfrichters Hinrich Clages. Welche sozialen Folgen für die Familien mögen aus dieser Verbindung aufgetreten sein?
In Quellen ist hier nirgends die Rede von Isolation, Furcht, scheuer Ehrfurcht oder Angst vor dem Berufsstand der Scharfrichter. Es gibt keine Belege ob dieser Berufsstand besonders geächtet oder anerkannt war. Ob die Familie Kalmeier aufgrund des dem unehelichen Kindes eines Scharfrichtersohnes unter „Schande“ zu leiden hatte und aus der Gesellschaft ausgegrenzt wurde, ist nicht nachzuvollziehen. Kallmeyer war Stadtrichter, auch Kellerwirt gewesen, also ein ehrbarer Stand. Wie es mit der Ehrbarkeit des Scharfrichters und der verwandten Berufe, dem Bader, dem Chirurgen, auch dem Müller. in Neustadt sich verhielt, ist leider nicht mehr nachzuvollziehen. Durften sie im Ratskeller wirklich nur, wenn überhaupt, abseits sitzen, hatten sie wirklich keinen Umgang mit der normalen Bevölkerung, wie es aus anderen Quellen überliefert ist?
In der Kirche hatten sie ihren eigenen Platz. Sie waren durchaus auch religiös eingestellt und gingen in die Kirche. Andererseits fanden Beerdigungen von Scharfrichtern nicht in geweihtem Boden statt. Die Angehörigen wurden „in der Stille“, also still und nachts ohne Begleitung und Glockengeläut beigesetzt.
Aus den Kirchenbüchern ist nicht ersichtlich, ob Sophie Kalmeier und Hinrich Clages geheiratet haben. Wohl wissen wir, dass sie 19 Jahre später anders geheiratet. Vom Sohn des Scharfrichters und dem unehelichen Kind fehlt jede Spur in den Archiven der Kirche Auch in den genau geführten Scharfrichterannalen wird er nicht erwähnt. Das läßt möglicher Weise durchaus darauf schließen, dass man dieses Ereignis lieber verdängen wollte.
Taufen, Heiraten und Todesfälle sind in den Neustädter Kirchenbüchern festgehalten. In den Taufzeugnissen werden als Paten, zum Beispiel „zwo Scharfrichterfrauen aus Münder“, aber auch „des alten Scharfrichters Frau“ genannt. In der Regel sind Berufskollegen, oder deren Frauen Taufpaten, gelegentlich aber offensichtlich ehrbare Neustädter Bürger: „H- D-, Bürgers und Brauers hierselbst“.
Die letzten Scharfrichter in Neustadt
1765 wird der letzte Klages, Staats Georg, wegen Trunkenheit, liderlichen Lebens und hohen Schulden abgesetzt. Von einem der Nachfolger, Georg Pohl, stammt „der hiesige Chirurgus Johann Friedrich Pöhle“, der eine ehrbare Bürger- und Brauerstochter aus Alfeld „copuliert“, also heiratet. Er wird im Kirchenbuch als „Chirurgus und Nachrichter“ geführt.
Diese wiederum heiratet ein zweites Mal Jobst Heinrich Suhr, Chirurgus und Nachrichter allhier. Ein Sohn Pöhl ist Scharfrichter und Wundarzt in Stolzenau.
Nicht vergessen werden soll die Halbmeisterfamilie von Balthasar Heinrich Koopmann. Danach ist Otto Pickler Halbmeister in Neustadt. Als letzter taucht Johann Heinrich Christian Hartmann auf, der noch 1815 als Scharfrichter in Neustadt erwähnt wird.
1817 wird der Tod von Johann Friedrich Wente gemeldet, der früher hierselbst Halbmeisterknecht gewesen, hat aber in den letzten Jahren in der größten Armut gelebt. (Q Barby, KB Neu)
Seitdem ist von Scharfrichtern und ähnlichen Berufen in Neustadt nichts mehr bekannt. Die Rechtsprechung und ihr Vollzug haben sich endlich geändert.
HD Dez 2015
Quellen und Literatur zu Scharfrichter:
- Johann Glenzdorf, Fritz Treichel,1970, Henker, Schinder und arme Sünder, Verlag W. Rost, Bad Münder
- Dr. Dietrich Redecker : Der Scharfrichter von Neustadt.
- Die Hornhefte Nr 4 , o.D., Neustadt a. R., Verlag Sicius
Gisela Wilbertz: 2008, David Clauss, Ein Scharfrichter in den Zeiten der Hexenverfolgung,
Städt. Museum Lemgo - Wilhelm Winkel, Geschichte der Stadt Neustadt am Rübenberge, 1966
- Eduard Klages, Chronik der Stadt Neustadt am Rübenberge, 1950
- Die Kopfsteuerbeschreibung der Fürstentümer Calenberg- Göttingen
und Grubenhagen von 1890, Verlag Aug Lax, Bad Münder - Heike Palm, 2001, Die Register des alten Amts Neustadt
am Rübenberge - Dieter Barby, Kirchenchronik der Gemeinde Neustadt a. R, Manuskript
- Scharfrichter bei Wikipedia