Wer sich von Osten her kurz vorm Leineübergang der Stadt nähert, wird rechterhand die Werbung für die Weinscheune kaum übersehen können. Wer ahnt schon, dass sich hinter diesem Fachwerkgebäude nicht nur ein historisches Baudenkmal  aber auch ein namhaftes Weingeschäft verrbirgt. Der Geschichte dieses denkmalgeschützten Hauses „Am Schützenplatz 10“ wollen wir nachgehen.

Die Weinscheunen 2019 (Foto Dyck Mai 2019)

Die Weinscheunen 2019 (Foto Dyck Mai 2019)

Dieses Gebäude ist ein Teil des „Scheunenviertels“, welches Mitte des19. Jh. „Vor dem Leinthore“ entstand. Da den Ackerbürgern die Hofstellen in der historischen Altstadt zu eng wurden, bauten sie außerhalb der Stadt diese Scheunen vor allem zur Lagerung landwirtschaftlicher Erzeugnisse aber auch der Unterbringung von Vieh, z.B. Pferden.

Die ursprüngliche Bestimmung als Längsdurchfahrtscheune erkennt man am linken großen (hier blauen) Einfahrtstor,  in das landwirtschaftliche Fuhrwerke längs in die Scheune einfahren und am anderen Ende wieder ausfahren konnten. Innerhalb des Gebäudes wurden die landwirtschaftlichen Erzeugnisse zur rechten Seite hin ausgeladen und gelagert. Die Durchfahrt diente auch als Dreschtenne.  Diese Aufteilung erkennt man auch heute noch im Innern des jetzigen Hauses. Die Halle ist 24,8 m lang und 11,8 m breit, davon etwa 3 m Durchfahrtspur. Die Bauart wird als „Steinfachwerk“, das Dach als mit „Ziegel in Kalk“ verlegt, beschrieben. Die Giebelseite wird zur unteren Hälfte als Steinfachwerk, die obere Hälfte als „abgewalmt“ benannt. Diese abgeschrägte Dachseite mit Ziegelbehang hebt das Gebäude etwas von den anderen, ebenfalls schmucklosen Scheunen in der Nachbarschaft ab.

 

Handzeichnung zur Gebäudeeinschätzung von 1939

Handzeichnung zur Gebäudeeinschätzung von 1939

Das Nachbarhaus Schützenplatz 2 steht noch, Haus Nr. 9, im Norden musste einem Parkplatz weichen, rechts unten ist auch Im Abstand von 18m das ehemalige „Hotel Zum Stern“ eingemessen,  heute steht dort eine Seniorenresidenz

Die Scheune als historisches Denkmal:  Wie alt ist die Scheune?

Das Alter der Scheune ist noch ungeklärt. Wir wollen versuchen, diese Frage anhand historischer Pläne zu untersuchen.

Im Bildband „Baudenkmale in Niedersachsen“ aus 2005 ist dieses Gebäude abgebildet. Es wird als „jüngst sanierte Längsdurchfahrtscheune der 1. Hälfte des 19. Jh.“ beschrieben. (Also um 1850) Es sei innerhalb eines historisch bedeutsamen Quartiers gelegen. (Chronik der Schützenfeste)

 

Foto: Aus Baudenkmale in Niedersachsen, 2005

Foto: Aus Baudenkmale in Niedersachsen, 2005

Recesskarte 1862

Recesskarte 1862

5 Plan nach 1883

5 Plan nach 1883

In einem Plan von nach 1883 ist die Scheune eingetragen, ebenso schon vorher in der Rezesskarte von 1862.

Kurhannoversche Landesaufnahme von 1771

Kurhannoversche Landesaufnahme von 1771

Auch die Kurhannoversche Landesaufnahme von 1771 zeigt im Bereich des heutigen Schützenplatzes eine Anhäufung von nicht genau zu identifizierenden  Gebäuden

Ein noch älterer Plan von 1764 zeigt an gleicher Stelle ein größeres Gebäude. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich hier bereits um einen Vorläufer oder gar die heutige „Weinscheune“ handeln könnte, insbesondere wenn man den Abstand und die Lage des Bauwerks zu den Räumlichkeiten des späteren „Hotel Zum Stern“ vergleicht.  Der Anfang dieses seinerzeit vom Krugwirt Balthasar Buchholz unterhaltenen Betriebes reicht noch vor 1754 zurück. (Zur Erinnerung und zum Vergleich: Die Kleine Leinebrücke wurde 1736 gebaut, die Schleuse wurde 1752 in Betrieb genommen).

Plan der Stadt Neustadt von 1764 (Nds HStA Hannover, 12 f Neustadt 7 pm)

Plan der Stadt Neustadt von 1764 (Nds HStA Hannover, 12 f Neustadt 7 pm)

Sollte die „Wein“- Scheune jetzt 250 Jahre alt sein ? Aufschluss könnten auch Versicherungsunterlagen geben. Alle Häuser in Neustadt mussten versichert werden. In Abständen, wohl auch bei Eigentumswechsel, wurden die Gebäude von Gutachtern überprüft. Gelegentlich wird auch die Frage nach dem Alter des zu begutachtenden Gebäudes gestellt, und zwar nach Dauer (D) und Alter (A). Unter Dauer ist vermutlich die denkbare Lebensdauer des Gebäudes zu verstehen. Das Alter wurde von den Gutachtern mangels besserer Unterlagen jedoch ganz wahrscheinlich nur grob geschätzt. Es war wohl nur für die Ermittlung einer Versicherungssumme wichtig. Aus der Kombination beider Werte wurde wohl die Höhe der Beiträge für die Versicherung ermittelt.

Louis Deiters war der Eigentumsvorgänger vor 1937. Für die Scheune dieses Eigentümers wurde in der „Einschätzung für die Gebäudeversicherung“  am 3. Sept. 1908 ein Alter von 60 Jahren zugrunde gelegt, demnach 1848 erbaut. (NRÜ 1282/3)

Im Gutachten vom 2.12.1926  wird ein Alter von 80 Jahren, dh, seit 1846 attestiert.  Die Bauausführung ist mit „genügend“, die „Instandhaltung“  mit „genügend bis ungenügend“ beschrieben.  (NRÜ II 1282/ 5)

1939 wird vom Baubeginn 1839 ausgegangen.

 

Einschätzung für die Gebäudeversicherung 1926 (NRÜ II 1282 /5)

Einschätzung für die Gebäudeversicherung 1926 (NRÜ II 1282 /5)

Ausschnitt Einschätzung 1926

Ausschnitt Einschätzung 1926

Ausschnitt Einschätzung 1939

Ausschnitt Einschätzung 1939

In der Einschätzung von 1926 rechnet sich das Alter bis 1846 zurück, in der von 1939 bis 1839. Die Einschätzungen des Alters weichen 7 Jahre  voneinander ab,

Gemäß der „Einschätzung für die Gebäudeversicherung“  vom 10.September 1908 gehörte die Scheune noch Louis Deiters,(1282/ 3)  auch noch 1926, eingestuft als „Scheune- Landwirtschaft“.(NRÜ II 1282/ 5)

Am 11.9.1937 ist sie als Weinlagerraum für Fritz Kollmeyer als Eigentümer eingetragen, bestätigt durch eine weitere  „Einschätzung“ vom 1.2. 1939.

Einschätzung 1937 S 1

Einschätzung 1937 S 1

 

Lageplan Skizze 1937 S 4 (ARH NRÜ II 1282/6)

Lageplan Skizze 1937 S 4 (ARH NRÜ II 1282/6)

Erst 2014 ging die Scheune in das Eigentum von Guiseppe Ciano über, der dort einen Weinhandel betreibt.

Um das Alter der Scheune bestimmen zu können, wären also noch mehr Erkenntnisse vonnöten.

Etwas über den Weinhandel in Neustadt

Der Bier- und Weinhandel unterstand noch vor 1717 einem Weinkonsortium, bestehend aus wenigen Honoratioren. z.B. dem Apotheker Meyer, Mstr. Heinrich Hachmeister und Christian Albrecht Jordan. Es war dem Kellerwirt, also dem Wirt des Rathauskellers, strengstens untersagt, etwas anderes zu verschenken als von diesen Herren gelieferter Wein oder Bier.  Er war verpflichtet, das Geld für ausgeschenktes oder verkauftes Bier oder Wein in je eine besondere Tasche zu stecken und diese Tasche jeden Abend den dazu beauftragten Bier- oder Weinherren abzugeben.

Christian Albrecht Jordan hatte sein Haus an der Stelle der heutigen Marktstraße 1 vor der Kleinen Leinebrücke, wo heute die Weinhandlung Kollmeyer- Plinke  ihr Geschäft hat. Das Haus brannte 1727 beim „Großen Brand“, bei dem die meisten Häuser der Stadt Opfer der Flammen wurden, mit ab, Jordan ist im „Brandplan“ unter der Nummer 108 noch verzeichnet. Diese Lage entspricht dem heutigen Grundstück Marktstraße 1.

Später ging die Stelle in das Eigentum der Familie Kollmeyer über Das Haus, indem heute die Weinhandlung Kollmeyer / Plinke ist, wurde wohl 1792  an der gleichen Stelle neu aufgebaut. „Seit 1792 betreibt die Familie Kollmeyer die Weinhandlung in der heutigen Form und noch heute befindet sich das Weinhaus in der Neustadt am Rübenberge an der Löwenbrücke in Familienbesitz“. (Zitat aus einem Prospekt „Chronik Sektkellerei Dupres, gemeint ist die „Mühlenkanalbrücke“ oder „Kleine Leinebrücke“ genannt) . Dieses Haus machte sich auch einen Namen als Gasthof „Zum Weißen Roß“.

 

Lageplan Skizze 1937 S 4 (ARH NRÜ II 1282/6)

Einschätzung behuf der Gebäudeversicherung 1937

 

Treppenstufe mit der Markierung 1792

Treppenstufe mit der Markierung 1792

Der jetzige Eigentümer Plinke hat dieses historische Datum des Wiederaufbaus in der Eingangs- Treppenstufe verewigen lassen.

Seitdem kommt man im Zusammenhang mit Weinhandel an dem Namen Kollmeyer nicht mehr vorbei. Darüber und über die Sektproduktion berichten die Prospekte der Firma Kollmeyer sehr ausführlich.

Der 1943 verstorbene Fritz Kollmeyer hatte als Lagerräume 4 Scheunen angekauft,

Sicher ist, dass für die heutige Weinscheune 1937 – damals schon unter der Adresse „Am Schützenplatz 10“ – für die Feuerversicherung eine „Einschätzung“ vorgenommen wurde. Die Scheune wurde als „Weinlagerraum“ benutzt.

Laut Adressbuch von 1966 betrieb Franz Pfeil in der Scheune eine Mosterei. Er war auch für die Fa. Kollmeyer tätig, die Geschäftsadresse lautete daher Marktstraße 1,  ebenso wie die Weinhandlung der Frau Louise Kollmeyer.

 

Foto anlässlich der Aufnahme eines Unfallschadens 1965 (Foto Franz Pfeil)

Foto anlässlich der Aufnahme eines Unfallschadens 1965 (Foto Franz Pfeil)

Der Name „Pfeil“ erscheint nicht in den Adressbüchern von 1949 und 1958. Im Jahr 1966 ist  „Franz Pfeil, Süßmosterei Marktstraße 1“ enthalten..

Die Firma hatte als Sektkellerei aber schon früh mit größeren Mengen Traubenmost zu tun, der hier in Neustadt gezuckert und zu Schaumwein verarbeitet wurde, Denkbar ist, dass diese und die weiteren Scheunen für genau diesen Zweck erworben wurden und der Traubenmost hier zwischengelagert wurde. (1909 wurde der Schlosskeller als Ort des Zuckerungsvorgangs bezeichnet)

Über Pino und die Weinscheune

Guiseppe Ciano gelangte über Umwege in Deutschland 1977 nach Neustadt. Er kam aus Mittelitalien, wo seiner Familie ein kleiner Weinberg gehörte. Seit 1985 war er als Betriebsassistent in der Weinhandlung Kollmeyer bei Udo Plinke beschäftigt. In der Firma Kollmeyer konnte er sein Kenntnisse im Weinhandel vervollständigen. Als die Scheune auch für den Verkauf von Wein zeitweise geöffnet wurde, übernahm er die Leitung. Um 2000 konnte er die Scheune mieten und eigenständig arbeiten, seit 2014 ist er auch Eigentümer des Weinhandels.

Weinscheune: La Bottega del Vino

Weinscheune: La Bottega del Vino

Weinscheune: La Bottega del Vino

Weinscheune: La Bottega del Vino

Das Geschäft ist bereits von außen nicht zu verfehlen. In freundlicher Umgebung kann man es sich auch draußen gemütlich machen.

In den Innenräumen wartet eine überragende Auswahl erlesener Weine und Spirituosen aus aller Herren Länder, von preiswert bis kostbar

Die Weinscheune heute: Innenraum

Die Weinscheune heute: Innenraum

Geschenke für Geniesser: LA Bodega del Vino in Neustadt (Leinezeitung)

Geschenke für Geniesser: LA Bodega del Vino in Neustadt (Leinezeitung)

Pino‘ s Weinscheune ist über die Region hinaus bekannt. Pino bietet ein riesiges Angebot an guten und besten Weinen und andere Alkoholika an. Er stattet größere Events mit auserlesenen Weinen aus, und stellt interessante Arrangements zusammen. Sein Angebot wurde bereits 2011 in der Presse ausdrücklich gewürdigt. (s. Anlage)

HD Juli 2019

Quellen

  • Hans- Joachim Naujoks, 1993, Chronik der Schützenfeste
  • Denkmale in Niedersachsen Region Hannover, Teil, 2 2005
  • Prospekte der Weinhandlung und Sektkellerei Kollmeyer, Dupres
  • Mündliche Angaben von Guiseppe Ciano
  • Archiv der Region Hannover, NRÜ II 1282
  • 20 Zeitungsartikel 2016
  • Aus der Leinezeitung vom 2.12.2016