Bei schönem Wetter gelüstet es Sie vielleicht nach einer Kugel Eis. Ihr Ziel könnte die Eisdiele an der Alten Wache in Neustadts gepflegter Stadtmitte, zwischen Ratskeller und der Kirche gelegen, sein. Oder Sie erledigen auf diesem Platz Ihre Einkäufe auf dem dienstags oder freitags stattfindenden Markt.

Interessiert Sie die Geschichte dieses historischen Gebäudes, in dem heutzutage der Italiener das leckere Eis herstellt – die so genannte Alte Wache?

Bis zum Grossen Brand von 1727 stand auf eben diesem Platz noch eine Zeile von 4 kleinen Häusern, „Am Markte“. Im Zuge der auf dem verheerenden Brand folgenden königlichen Verordnung zum Neuaufbau des Straßennetzes, der Verbreiterung und Begradigung von Straßenfluchten und Grenzen, wurde die Marktstrasse auf eine Breite von 40 Fuss erweitert. Daher hatten die Gebäude zu weichen, hier wurde 1728/29 der Vor-Vorläufer der jetzigen Baus errichtet, der damalige Zweck des Gebäudes ist heute unklar.

Brandplan von 1727, Neustadt am Rübenberge

Brandplan von 1727, Neustadt am Rübenberge

1830 wurde die Alte Wache errichtet als „dreiachsiger Säulenbau im toskanischem Stil“.

Am 11. Juni 1828 schrieb der Magistrat zum Bau eines neuen Wachtgebäudes:

Es ist die Absicht, an dieser Stelle in hiesiger Stadt, wo gegenwärtig das baufällige Wachtgebäude sich befindet, ein neues Gebäude aufzuführen, welches ausser der Wachtstube auch zugleich ein Sicherheitsgefängniß, Sprützenhaus und Wohnung für den Gefangenenwärter in sich vereine. Zur Ausführung dieses Gebäudes, welches mit einem Dache von 50 Fuß Länge und verhältnismäßiger Breite haben soll, fehlt uns indessen eine Breite von etwa 7 ½ – 8 Fuß. der ganzen Länge des Gebäudes noch an Grund und Boden um das Gebäude soweit zurück zu setzen, das das davor herlaufende Trottoir nicht beengt werde.

In diesem Schreiben wird der Wunsch geäußert „den Flächeninhalt von hinter der Wache herlaufenden Kirchhofsplatze anzukaufen. (KA Neu, Barby)

 Man wurde sich mit der Kirche wohl einig. 1830 wurde die Alte Wache errichtet als „dreiachsiger Säulenbau im toskanischem Stil“.

Redeker schreibt in seinem Heft „Das alte Neustadt in heiteren Bildern“ aus den 70er Jahren:

Die Alte Wache war auch vor dem ersten Weltkrieg schon etwas wie der Mittelpunkt der Stadt. Das Innere war einerseits Aufenthaltsraum der Nachtwächter, die damals von hier aus Nacht für Nacht mit einer Laterne und einem bedrohlichen Spieß auszogen, um über die Artigkeit de Bürger zu wachen. Ferner diente die Alte Wache zeitweise unter der Bezeichnung „Speckkammer“ zur Arretierung von Leuten, die sich eben nicht artig genug während der Nacht verhalten hatten. An jedem Donnerstag aber war die Wache auch das Ziel der ärmeren Bevölkerung, da dort billiges Freibankfleisch verkauft wurde.

Die oben erwähnten Nachtwächter begannen von hier aus ihre nächtliche Runde in der Regel um 22 Uhr, ausgerüstet mit Horn, Petroleumlampe und einem dicken Knüppel, vielleicht auch einem Hund. Zwei Wächter lösten sich alle zwei Nächte bei den Rundgängen ab. Dabei hatten sie mehrfach eine bestimmte Route abzulaufen und später sogar an verschieden aufgestellten Stellen eine Kontrolluhr zu betätigen, .Der Rundgang wurde ihnen aber nach 1862 erleichtert, als die Stadt 12 Petroleumlampen aufstellen ließ. Nach Inbetriebnahme der Städtischen Gasanstalt 1908 wurde es heller, die Straßenbeleuchtung auf Gas umgestellt. Insbesondere wegen der Furcht vor dem Ausbrechen eines Brandes blieben die Nachtwächter noch bis 1930 in Dienst. Danach stellte die Stadt einen zweiten Polizeibeamten ein.

Redeker schreibt weiter:

Einem weiterem Zweck diente die Alte Wache. Ihre mit Teer gestrichene Rückwand – zum nahen Eingang zur Liebfrauenkirche hin – notdürftig durch einen halbhohen Bretterzaun verdeckt (in Bild links zu erkennen), diente der männlichen Bevölkerung zur Befreiung von drängenden Bedürfnissen, Diese Baulichkeit war so zweckmäßig angelegt, dass ein halbwegs großer Mann während des Geschäftes hinter dem Bretterzaun grüssend den Hut vor vorübergehenden Bekannten ziehen konnte . Für Frauen gab es damals eine ähnliche Einrichtung noch nicht. Sie wurde erst geschaffen, als nach dem ersten Weltkrieg den Damen in einer Ecke hinter der Alten Wache die gleichen Rechte eingeräumt wurden.

Erstes öffentliches Klo (Bedürfnissanstalt) in Neustadt

Erstes öffentliches Klo (Bedürfnissanstalt) in Neustadt -Foto von ca. 1900 – Aufnahme: Emil Köster

Niemand weiß genau, zu welchem Zweck die Alte Wache gebaut wurde. Dieses Foto ist um 1900 von Emil Köster aufgenommen worden. Links erkennt man dem Bretterverschlag, der als Urinal diente. Es war die erste öffentliche Bedürfnisanstalt in Neustadt.

Das folgende Foto ist in „Kunstdenkmäler des Landes Niedersachsen“ zu finden. Man erkennt nun, dass der Bretterverschlag einem gemauerter Bedürfnisanstalt gewichen ist. Es war darüber hinaus nun auch ein Damenklo verfügbar. Das Foto stammt aus der Zeit vor 1958. Zeitzeugen wissen noch, dass das Damenklo auch von einer Klofrau betreut wurde.

 Links im Bild ist die gemauerte Bedürfnisanstalt zu erkennen. Foto aus "Kunstdenkmäler des Landes Niedersachsen."

Links im Bild ist die gemauerte Bedürfnisanstalt zu erkennen. Foto aus „Kunstdenkmäler des Landes Niedersachsen.“

Neben der alten Wache, unter der Kastanie, hatte sich nach dem Krieg ein Neustädter – heute würde man vielleicht sagen: mit einer „Ich-AG“ – zeitweise mit einem fahrbaren Kiosk niedergelassen und verkaufte den Neustädter Buttjern für Pfennigbeträge die ersten leckeren „Nachkriegssüssigkeiten“ z. B. Lakritz- Schnecken, Nappo, Kaugummi und Ähnliches. Mit diesem Wagen zog er auch an andere lukrative Plätze , z. B. zum Fußballplatz.

In die Alte Wache zog 1948 der Friseurmeister Werbik ein und etablierte dort seinen Salon für Damen und Herren. Der hier aus nur zwei Sitzplätzen bestehende Damensalon wurde bald in ein größeres Geschäft in der Leinstrasse verlegt; Die Herren zogen in späteren Jahren nach.

Nachfolgend wurde die Alte Wache von verschiedenen Eisherstellern als Eisdiele genutzt

Nebenan, an der jetzt nicht mehr vorhandenen großen Kastanie, etwa am Löwenbrunnen, wo sich auch eine Bushaltestelle befand, war ein beliebter Treffpunkt, vornehmlich wohl von Flüchtlingen. Dieser Platz war als „Schlesischer Bahnhof“ bekannt.

Der schöne alte Baumbestand, die großen Kastanien , die man noch auf den alten Fotos sehen kann, gibt es nicht mehr . Die Kastanie am Löwenbrunnen fiel der Kreissäge zum Opfer. Im nahe gelegenen Museum können Sie auf einer sorgfältig präparierten Scheibe des Baumes die Jahresringe abzählen und prägnante Ereignisse der Neustädter Geschichte ablesen.

Im Jahre 1980 entschlossen sich die erst zwei Jahre zuvor gegründeten städtischen Wirtschaftsbetriebe zu einer Renovierung des gegenüberliegenden Ratskellers. Gleichzeitig wurde auch die Erneuerung der Alten Wache in Angriff genommen. Vorher entbrannte der Streit, ab man der Form von 1728/29 oder 1830 folgen sollte . Man entschied sich doch für die vertraute Version von 1830, wie der Zeitzeuge Bernd Möller noch weiß. Allerdings verzichtete man noch auf eine moderne Ausstattung wie Licht ,Wasser oder dergleichen. Die Leinezeitung berichtet darüber am 30.4.1980.

Die Alte Wache während des Umbaus

Die Alte Wache während des Umbaus

Nach dem Wiederaufbau dient es bis heute als attraktive Eisdiele

Sie haben, wenn Sie heute die Alte Wache betrachten und vielleicht Ihren Eisbecher genießen, ein historisch anmutendes aber modernes Gebäude vor sich, Die hygienischen, unappetitlichen Verhältnisse von dunnemals können Sie also vergessen. Gleichwohl steht das Haus für ein vielseitiges , 280 Jahre währendes Geschichtskapitel der Stadt Neustad.

Ein angenehmer Platz für eine Pause -  Alte Wache

Ein angenehmer Platz für eine Pause – Alte Wache

Attraktive Ecke in Neustadt am Rübenberge

Attraktive Ecke in Neustadt am Rübenberge

Altes Rathaus im Hintergrund -vorne die Alte Wache in Neustadt

Altes Rathaus im Hintergrund -vorne die Alte Wache in Neustadt

Einmal im Jahr ist die Alte Wache Mittelpunkt eines besonderen Neustädter Brauchtums. Am Freitagabend vor dem Neustädter Schützenfest versammelt sich die Bürgerschaft , Gäste und Freunde kommen von Nah und Fern, um hier der Abschlussdarbietung der legendären Bärenmusik zu lauschen. Diese ist den ganzen Tag durch die Stadt gezogen und hat mit klingendem Spiel zum Schützenfest eingeladen. Mit der Aufforderung „Hört, Bürger, hört….“ spielt sie hier den letzten Zapfenstreich.

Das ist dann der Auftakt für eine feuchte Feier mit Freunden und Bekannten. [HD Mai 2008]

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