Über die Kriegsgefangenschaft (1915-1918) des Neustädters August Schlüter in Russland
Dieser Bericht basiert auf Feldpostkarten und -briefen des Neustädters August Schlüter aus den Weltkriegsjahren 1914 bis 1918. Sie befanden sich bis heute im Gewahrsam der Familie Schlüter. In diesen Texte wird nicht von Schlachten und Heldentaten berichtet, sondern von der anderen Seite, dem „Hinterhof“ des Krieges – dem Leben als Gefangener des Krieges in Russland. Dabei durchlief August Schlüter unterschiedliche Stationen und geriet am Ende in die Wirren der Revolution und des Bürgerkrieges.
Wir erhielten freundlicher Weise Einblick in die interessanten Zeitdokumente und wollen im Rahmen dieses Aufsatzes das Leben des August Schlüter als Gefangener des 1. Weltkrieges aufzeichnen.
August Schlüter kam aus der Maschinenfabrik Schlüter in Neustadt a. Rbge.
Sein Bruder Heinrich war seit 1902 Eigentümer und Leiter der Fabrik. Frau Käthe Schlüter, seine Schwägerin, war eine wichtige Kontaktperson, die nicht nur für August sondern auch für viele Angestellte und Arbeiter des Werks Sorge trug.
Der 1. Weltkrieg hatte sich schon lange vor 1914 angekündigt. Die Ermordung des österreichischen Kronfolgerpaares am 28.6.1914 war die Lunte zu seinem Beginn. Aus „Nibelungentreue“ zu Österreich erklärte Kaiser Wilhelm II. am 1. August 1914 Russland den Krieg.
Nun wurden beide Schlüters eingezogen, Heinrich nahm am Einmarsch in Belgien, der gegen geltendes Kriegs- und Völkerrecht verstieß, teil. August kam sofort an die Ostfront, sein Dienstgrad konnte nicht ermittelt werden.
1914 – Die ersten Karte von der Ostfront
Das erste Lebenszeichen von August war eine ganz normale Postkarte vom 9.8.1914 aus Ostpreußen an seine Schwägerin Käthe.
Liebe Käte!
Seit 4 Tagen bin ich in Hohensalza an der russischen Grenze, es drängt mich zu wissen, welches Heinrichs und Gustavs Adresse ist. Wie ich soeben höre hat das 10. Korps Lüttich genommen, Ihr als Hannoveraner waret dieses Mal die Ersten beim größeren Kampf. Wir werden Morgen verladen, Dir Deiner lieben Mutter u. den Kindern meine besten Grüße.
M. Adr.
Landwehr Ersatz Battailon No 49. 1.Compagnie
Nochmals beste Grüsse von Deinem Schwager
Hohensalza 9.8.14
Ostpreußen wurde gleich anfangs des Krieges von den Russen hart bedrängt. Es kam zu schweren Gefechten, noch im August 1914 bei Gumbinen, vom 29. bis 30.8. 1914 tobte die Schlacht von Tannenberg, vom 6.bis 15 September an den Masurischen Seen. Zwar waren diese Ereignisse für die deutschen Truppen letztlich erfolgreich, von August Schlüter jedoch kam seit seiner ersten Postkarte kein Lebenszeichen.
1915 – Die ersten Nachrichten aus der Gefangenschaft
Erst diese Karte (keine Feldpostkarte in dem Sinne) vom 19.3.1915 gab Gewissheit:
Liebe Käthe, Euch nochmals Nachricht, daß es mir soweit ganz gut geht, ich hoffe dasselbe von euch und Gustav- Dir Deiner lieben Mutter und den Kindern meine lieben Grüße. Auf ein frohes Wiedersehen
19.3. 15 Dein Schwager Aug Schlüter
Wahrscheinlich ist August bei einer der großen Schlachten in russische Kriegsgefangenschaft geraten. Er wurde wohl hauptsächlich mit der Transsibirischen Eisenbahn etwa über 10.000 Kilometer nach Wladiwostok an das östlichste Ende des russischen Reiches transportiert.
Familie Schlüter wird daheim vom Dänischen Roten Kreuz mit Instruktionen versorgt, wie sie mit ihrem Angehörigen in Verbindung treten können.
Augusts erste Feldpostkarte auf russisch gehaltenem Vordruck schreibt er am 15.5.1915, lange Monate nach seiner Gefangennahme. Darin äußert er noch die Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen, nichts ahnend, dass es über 3 Jahre andauern würde. Es ist dieses die erste von über 31 Karten, die er im Laufe des Jahres 1915 abwechselnd an seinen Bruder Heinrich oder an seine Schwägerin Käthe verschickt hat. Es sind in der Regel Karten, die als Kriegsgefangenensendung deklariert sind und nur einseitig beschrieben werden konnten.
Über die Lebensumstände in der Gefangenschaft wird fast überhaupt nicht berichtet, vielleicht um die Familie nicht übermäßig zu belasten. Tatsächlich berichtet er einmal von „Guter Behandlung, hoffentlich geht es den russischen Gefangenen bei Euch auch so gut“. Mit den meisten Karten bittet er vornehmlich um Geld und verschiedene Dinge. Dieses sind Wäsche, Leibwäsche, Zigarren, ein Paar Austauschschuhe, Hausschuhe. Er erinnert dran, doch bitte die feldgraue Hose und Litewka, Mütze, Wäsche und Zigarren zu senden. Wichtig sind ihm dicke wollene Hemden und Strümpfe, dicke Unterjacke, Handschuhe. Seine erste Adresse lautet „Sclotowo bei Wladiwostok/Sibirien“. Es wird auch erwähnt: “bin beim Bahnbau beschäftigt, Gesundheit gut“, auch: „bin unverwundet und gesund, man wird hier sehr gut behandelt“.
Sein Dank für Pakete, Geld, sogar Kuchen zeigt, dass die postalischen Verbindungen über das Rote Kreuz in Kopenhagen oder die Schwedische Handelsbank in Stockholm wohl einigermaßen gut laufen. Ob es zu Hause wohl leicht war, seine Bitten zu erfüllen, sich auch wunschgemäß um seine Anzüge und Pelze zu kümmern?
1916 – Weitere Karten aus Wladiwostok und ein erster Brief
Die ersten Nachrichten des Jahres 1916 bestehen aus 10 farbigen Bildpostkarten, made in Japan, zeigen japanische Motive, hauptsächlich junge Frauen, Geishsas?
Es folgen fast 60 weitere Karten, inhaltlich vergleichbar mit denen aus 1915. Hauptsächlich wird gedankt für erhaltene Pakete und Geld, aber auch um Zigarren und Cacao! gebeten. Ob das nicht auch in der Heimat Mangelware war? In einem ersten Brief wird etwas ausführlicher über die schöne Landschaft, aber auch über einen 4monatigen Lazarettaufenthalt berichtet, gleichzeitig auch betont, dass es ihm gut geht.
Anderswo in Sibirien berichten deutsche Kriegsgefangene von schlimmsten Behandlungen hinter Stacheldraht, davon lässt er hier nichts spüren. Der schwedische „Engel von Sibirien“, Elsa Brandström, brauchte hier keine Hilfe und Linderung durchzusetzen.
Im Mai 1916 kommt die Nachricht, dass er nach Kasan verlegt wird. Post kommt aus Charbin, eine Großstadt in der heutigen Mandschurei und Olofnja in der Steppe. Hier beeindruckt ihn die Steppe mit den Kirgisen und Pferderudeln. Über Krasnojarsk geht es nach Kasan. Seine Adresse ist jetzt „Kasan Nazalnik der Garnison, Kontor Mirkina und Weitzen“. Die Firma „Mirkina und Weizen“ betreibt Bahnbau: „wir sind hier 100 Deutsche auf Streckenarbeit, Privatbetrieb, ein Leutnant, auch Gutsbesitzer, und ich teilen uns die Aufsicht.“ Es scheint August ganz passabel zu gehen, die Bitte um Pakete und Geld bleibt aber durchgehend. Er wohnt mit 8 Mann bei einem Tataren in ganz gutem Quartier.
1917 – Die Russische Revolution und an die 70 Karten aus der Mandschurei und ein weiterer Umzug ans Schwarze Meer
1917 ist ein entscheidendes Jahr in der russischen Geschichte. Nach der Februarrevolution am 23.2. in Petersburg dankt im März 1917 der Zar ab, die Regierung geht kurzfristig an Kerenski über bis zur Oktoberrevolution. Bisher ist an Frieden noch nicht zu denken, erst die jetzt herrschenden Bolschewiken beenden den Krieg mit Deutschland. Ob August von diesen Ereignissen etwas mitbekommen hat, geht aus seinen Mitteilungen nicht hervor. Noch ist er in Kuckmor bei der Firma Mirkina und Weitzen tätig. Aus Kasan schickt er wohl 10 Bildpostkarten, unter anderem mit Motiven der Kama, einem Nebenfluß der Wolga. Insgesamt werden es 1917 fast 70 Postsendungen!
Im August kommt in Neustadt die Nachricht an: „Morgen fahre ich per Schiff in die Nähe des Kaukasus nach Jekatorinodar im Gouvernement Kuban als Aufsichtsperson bei landwirtschaftlichen Arbeiten.“ (Anm.: Jekaterinodar ist das heutige Krasnodar) Die Adresse ist nunmehr „Mirskaja, Station der Wladiwostok Eisenbahn, Kubanski Oblast, Mühle Beutschenko“ Ferner schreibt er: „Bin in einer gesunden Gegend in der Nähe des Kaukasus am Schwarzen Meer in einer Mühle auf Arbeit und zwar als Maschinist. Mir geht es hier sehr gut…“. Dennoch scheinen sich die politischen Verhältnisse und auch sonst für ihn zu verschlechtern. Man besorgt ihm Arbeit in einem armenischen Theater, er ist mit einer Familie bekannt, deren Bruder sich in Osnabrück in deutscher Gefangenschaft befindet. Er bittet die Familie zu Hause, sich um ihn zu kümmern. Die Auslagen erhofft er zurückzuerhalten, da die russische Familie sehr reich sei. Die politischen Veränderungen in Russland lassen sich in seinen Karten nur erahnen, finden aber keinen Niederschlag.
1918 – Die Heimkehr
In der Karte vom 1.1. 1918 wird geschildert: „Weihnachten habe ich gut verlebt, das erste Mal in der Gefangenschaft. In der deutschen Familie, wo wir zu 6 Herren essen, sind wir wie zu Hause.“ Die Post aus Deutschland braucht inzwischen teils mehr als ein halbes Jahr, August empfiehlt seinem Bruder „die Zigarren abzubestellen, es kommt von Kasan nichts nach“. Auch Geldsendungen kommen offensichtlich nicht mehr an. „Ich muss eben sehen, wie ich so durchkomme“. Er arbeitet noch 5 Stunden, es reicht fürs Essen.
Am 3. 3.1918 wurde der Friede von Brest-Litowsk zwischen Deutschland und Russland geschlossen.
Inzwischen herrschen Bürgerkriegszustände, die offensichtlich auch Jekaterinodar erreichten. Die Kämpfe zwischen „Weiß“ und „Rot“ nehmen Formen an. Das bestätigt auch der Brief aus Breslau vom 8. Juni eines R. Seydel, der die Familie in Neustadt erreicht. Er bestätigt zunächst, dass August in einer größeren Mühle etwa 160 Werst von Jekaterinodar entfernt als Maschinengehilfe bei Führung eines Motors tätig gewesen war.
Danach musste er sich durchschlagen, so gut es ging und zwar erst als Schuldiener in einem armenischen Gymnasium und später durch Arbeiten in einer Kunstbutterfabrik. Als in diesem Frühjahr die Bolschewiken, vom Schwarzen Meer und auch Don- Gebiete kommend das Kuban-Gebiet unter schweren Kämpfen einnahmen, wurde auch Jekaterinodar Tag und Nacht bombardiert.
Geldsendungen, Pakete und Post hörten infolge der landverwüstenden Kämpfe zwischen Bolschewiken und Kubankosaken auf. Was machte August Schlüter in diesen Tagen? Während Herr Seydel erfolgreich nach Westen flüchten konnte und nachdrücklich versuchte, auch August dazu zu bewegen, weigerte sich August, sich diesem Vorhaben anzuschließen.
Mit Brief vom 24.7.18 bestätigte Seydel, dass August sich nicht überreden ließ, Jekaterinodar zu verlassen. Beigefügt ist das Schreiben eines Herrn Lehmann: “Schlüter, Münks und ich waren bei den Herren Bolschewiki schlecht angesehen. Einige Male wurden wir verhaftet. Einige deutsche und österreichische Kriegsgefangene wurden sogar erschlagen“. Lehmann und Münks machten sich auf nach Novorossisk, einer Hafenstadt am Schwarzen Meer, in der Hoffnung irgendwie über das Meer zu gelangen. Schlüter wollte vorläufig in Jekaterinodar bleiben, um einige Tage später nachzukommen oder auf eine deutsche Kolonie zu fahren oder in Sicherheit zu bringen. Lehmann und Münks wurden in Novorossisk vom deutschen Kriegsschiff Goeben aufgenommen und gelangten so über Konstanza per Bahn nach Bukarest, wo sie in Quarantäne, aber frei Station machten.
Wo blieb August Schlüter? Hier verliert sich kurzzeitig seine Spur! Am 31. Juli 1918 schreibt der Vizefeldwebel der Reserve Fr.Lehmann aus dem Kriegsgef. Quarantänelager in Cotroceni :
„‘Die rote Armee‘, eine Bande, die sich von der eigentlichen Sowietregierung der „Bolschewicki“ in Moskau abgetrennt hatte, führte in der Stadt ein richtiges Schreckensregiment. Kein Bürger und ebenso kein Kriegsgefangener war vor dieser Gesellschaft sicher. Weil wir öfter in einem für dortige Verhältnisse elegantem Zivil auf der Hauptstraße spazieren gingen und auch Lokale besuchten, wurden wir für deutsche Offiziere und Spione gehalten“.
Immer noch weigerte sich August, mit nach Novorossik mitzufahren. August ging es in der Zeit plötzlich sehr gut, da die nach seiner früheren Arbeitsstelle gesandten Geldbriefe nachgesandt worden waren. Er verfügte nun über 400 Rubel. Offensichtlich beabsichtige er, die Deutsche Kolonie Alexanderfeld aufzusuchen, “das Dorf liegt nicht in unmittelbarer Nähe der Gegend, wo jetzt die Kämpfe zwischen der „roten Armee“ und den „Kadetten bzw. deutschen Truppen tobten“ Von da ab brach jeder Kontakt ab.
Aus heiterem Himmel wird die Familie zu Hause von den Sorgen um ihren Bruder erlöst. Es erreicht sie die wohlgemut klingende bunte Feldpost- Ansichtskarte vom 3. August aus der Kriegsgefangenen- Quarantäne, dem Lager Costroceni in Rumänien an seine Schwägerin Käthe: „Bitte sende mir 2 anständige Scheck- Pfeifen sowie ein gutes Taschenmesser und ein Portemonai. Gesundheitlich geht es mir besser.“ Gleichen Tags schiebt er eine weitere Ansichtskarte an den Bruder nach: “Bitte mir außerdem eine Brieftasche mit zusenden“.
Kurze Zeit später meldet er den Bedarf an „ ein gutes Rasiermesser mit Zubehör sowie großen Rucksack“ an.
Ende August, am 25. 8.1918 ist es soweit: „Liebe Käthe, soeben Deine Karte erhalten, vielen Dank, ich komme Freitag zu noch unbestimmter Stunde in Berlin an, wahrscheinlich Sonnab. früh Hannover. Freue mich sehr auf’s Wiedersehen Herzl. Gruß August.“
Eine lange Odyssee hat ihr glückliches Ende gefunden.
(Hartmut Dyck, März 2016)
Ein besonderer Dank geht an Ulla und Käthe Schlüter, die die um 180 Postkarten aus der russischen Gefangenschaft zur Verfügung gestellt haben.
Katia Schluetter on 18 Dez 2017 at 04:29 #
Hall.. ice mochte gerne wissen ob Sie mehr sprechen konnen von Familie Schlutet, die die nach Brasilien kammen. Danke mit herzlichen Grussen.
Pomerode- Santa Catarina.
admin on 18 Dez 2017 at 11:28 #
Hallo Frau Schlueter, momentan haben wir hier keine weiteren Infos, gerne halten wir die Augen offen und forschen weiter! Beste Grüße nach Brasilien!