Am Schützenplatz – Über ein Scheunenviertel
Neustadt hatte in der Vergangenheit mehrere Feuersbrünfte zu erleiden, das letzte katastrophale Mal im Jahre 1727, als fast das gesamte Stadtgebiet in Mitleidenschaft gezogen wurde. 100 von 108 Häusern waren zerstört. Auch danach fanden noch einzelne Brände statt. Nicht nur die Feuersgefahr bestand weiterhin. Die engen historischen Ackerbürgerstellen in der Innenstadt boten nicht mehr genügend Platz für die Lagerung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und die Haltung von Vieh. Daher bauten die Ackerbürger außerhalb der Stadt „Vor dem Leinthore“, dem heutigen Schützenplatz, etwa seit Mitte des 19ten Jh. separate Scheunen in einem gemeinsamen Scheunenviertel außerhalb der Innenstadt.
Dabei handelte es sich i.A. um Fachwerkgebinde mit Ziegelstein ausgemauert – (Steinfachwerk), Die Dächer waren grundsätzlich Ziegelgedeckt, manche Giebelseiten waren mit „Ziegelbehang“, – senkrecht montierte Dachziegel- versehen. Die Häuser stehen auch heute noch mit Abstandsmaßen von 2,20 oder 2,9 m recht eng beieinander.
So entstand eine Reihe giebelständiger Scheunen, schmucklos und ohne jegliche Verzierungen. Über eine erste Erwähnung vielleicht dieser Scheunen wird in der „Chronik der Schützenfeste“ (S 38) berichtet. Den damaligen Antrag, die Schützenfeste in einem eigens zu beschaffenden Zelt feiern zu können, lehnte der Magistrat ab mit der Begründung „dass die Eigentümer von den im Jahre 1816 auf dem Platz errichteten Scheunen sich verpflichtet hätten, zu den Festtagen die Dielen ihrer Scheunen zu räumen und den Tanzlustigen zur Verfügung zu stellen“ Ob diese Scheunen mit den heutigen Gebäuden identisch sind, ist nicht zu ermitteln. So ist auch keine Scheune aus 1816 zu bestimmen.
Die naheliegende Schiesshalle wurde erst 1823 gebaut. 1883 wurde die neue Bürgerhalle eingeweiht, Schützenfeste fanden fortan in diesem Hause statt.
1970/ wurde es wieder abgerissen. Nach einem Zwischenspiel als Freizeitheim hat heute die Volkshochschule dort ihr Domizil. Der eigentliche Schützenplatz ist heute Parkplatz, diente von jeher bis heute den Schützenfesten, auch als Vieh- und Schweinemarkt.
Über das Alter der jetzigen Gebäude könnten uns Versicherungsunterlagen geben. Alle Häuser in Neustadt mussten schon seit dem 18. Jh. versichert werden. In Abständen wurden die Gebäude besonders bei Eigentumswechsel von Gutachtern überprüft. Dabei wurde auch die Frage nach dem Alter des zu begutachtenden Gebäudes gestellt, und zwar nach Dauer (D) und Alter (A). Mit „Dauer“ war wohl die zu erwartende Lebensdauer des Gebäudes gemeint, immer mit 200 Jahren. Alter konnten von den Gutachtern mangels besserer Unterlagen jedoch ganz offensichtlich nur grob geschätzt werden. Dabei konnten doch zu recht großen Unterschieden kommen.
Bei der Scheune „Am Schützenplatz 10“ – der heutigen Weinscheune – wurde im Gutachten von 1939 ein Alter von 100 Jahren, also aus 1839 angenommen. Erst die Kombination „Dauer“ und „Alter“ in der Tabelle war wohl zusammen mit dem geschätzten Bauwert Grundlage für die Versicherungssumme.
Seit fast über hundert Jahren hat sich die Lage und Anzahl der Gebäude nicht verändert.
Über Am Schützenplatz 1gibt es nur sehr wenig Auskünfte. Laut der Neuordnung der Hausnummern im Stadtgebiet gehörte das Gebäude 1908 dem Lohgerber Adolf Meinrath, der auch das Haus „Zwischen den Brücken 1“ besaß. Im Adressbuch von 1958 ist Valentin Reihhardt als Eigentümer eingetragen, 1966 auch für das Hs. Nr. 3
Die Scheune „Am Schützenplatz 2“ ist seit mindestens 30.6.1864 versichert. Es gehörte am 31. Dezember 1876 dem Gastwirt Friedrich Kollmeyer, der sie gemäß Kaufcontract vom 17.3 1877 dem Ackerbürger Heinrich Waage verkauft. Da werden die Gebäude noch als „Scheune vor dem Leinthor“ beschrieben. 1911 ist der Ackerbürger Fritz Kiel Eigentümer der „Scheune, Landwirtschaft“. Da soll das Haus von 1861sein.
Am Schützenplatz 3 gehört 1906 der „Vereinsbrauerei Herrenhausen Hannover“. Sie wird 1911 vom Schlachtermeister Carl Schilling benutzt, der 1914 ein Eishaus mit Kühlanlage einbauen lässt. Das Alter wird mit 40 Jahren, also seit 1872bestehend eingestuft. 1914 wird es ebenfalls von 1872 ausgegangen.
Die „Scheune vor dem Leinthor“Nummer 4 gehörte am 15 Mai 1868 noch dem Färber Heinrich Röver, der verkauft 1882 an Wilhelm Köhne. 1906 und 1914 gehört sie dem AckerbürgerHeinrich Nülle. Nülle betrieb bereits eine Gastwirtschaft in der Leinstraße und witterte ein Geschäft. Wohl schon um 1905 richtet er in der Scheune nur für die in Neustadt stationierten Soldaten der Maschinen- Gewehr – Ersatzkompanie eine Schänke ein. (ARH NRÜ KA 144ff) Mit Antrag vom 30.Juni 1916, mitten im 1. Weltkrieg, erklärt A, W, Ahrens, den Betrieb weiter führen zu wollen.
1906 wird ein Alter von 75 Jahren angegeben d.h. von 1831. Seit 1920 ist Bahnarbeiter Friedrich Weidemann als Eigentümer verzeichnet, dabei soll es 88 Jahre alt sein, also von 1832. Weidemann lässt das Haus zu Wohnzwecken umbauen. Das ist erklärlich, denn In jener Zeit war wegen des Ansturms von Flüchtlingen aus dem ehemals deutschen Posen Wohnraum sehr knapp.
1925 wurde das Haus auf Heinrich Hogrefe umgeschrieben. 1932 wurde das Haus jünger nur auf 75 Jahre geschätzt, demnach von 1857. Der Zimmermann Heinrich Hogrefe wurde 1932, 1934, auch 1942 und bis mindestens 1966 als Besitzer benannt.
Der Ackerbürger und Tischler August Fölger ließ bereits 1890/ 91 das Gebäude Wohnzwecken umbauen.( …im vergangenen Jahr zu Wohnzwecken umgebaut und hierfür 1.500 Mark verwendet…) Das große Tor auf der Vorderseite des Gebäudes (kein Foto vorhanden) lässt auf eine ursprüngliche Nutzung als Durchfahrtscheune schließen, wobei die Durchfahrt auch als Dreschtenne freigehalten wurde. Das Alter wird auf 40 Jahre d.h. 1850 geschätzt.
Aus dem Umbauplan Fölger geht die ursprüngliche, allgemein verwendete Bauweise hervor. Großes Durchfahrtstor zur Tenne, Ziegelfachwerk und Ziegelbehang bestimmen das Aussehen
Ackerbürger und Chausseearbeiter Dietrich Seegers hat schon 1909 das „Wohnhaus und Landwirtschaft“ besessen, Nunmehr wurde es als seit 1869bestehend beschrieben. 1942 wird es als „Wohnhaus, früher Scheune“ eingestuft.
Am Schützenplatz 5 Vorder- und Rückansicht 2019:
Das Haus Am Schützenplatz 6 ist auch auf älteren Plänen nicht mehr erhalten
Haus Nr 7 Eigentümer ist am 1. Sept 1904 Viehhändler Albert Bormann (1282 /22) Die Versicherung schätzt das Haus 1907 auf 50 Jahre, d,h, aus 1857ein. Nachdem danach zunächst der Magistrat als Eigentümer erscheint. wird das Anwesen am 29.Okt 1921 an Heinrich Nordmann für 12.000 Mark veräußert (Grundbuch N. a. RBGR Bl 487 Geb 306/1789) NRÜ II 1282/ 22/24/ 25
Heinrich Nordmann baut die Scheune für 2 Wohnungen um.
1923 erscheint es als „Einfamilienhaus“ 1282/ 42. Noch 1966 ist der Maler Heinrich Nordmann als Eigentümer im Adressbuch eingetragen
Haus Nr. 8 musste in modernen Zeiten einem Parkplatz weichen. Es ist am 10.Mai 1910 für den Ackerbürger Wilhelm Kallmeyer eingetragen. Nach dem geschätzten Alter von 60 Jahren stand es seit 1850 (NRÜ II 1282- 19) (Im Situationsplan von 1890 für den Nachbarn Fölger steht noch „Beck Kallmeier“). Hier soll der Landwirt Kallmeyer Lohndrescherei betrieben haben
Auch das Haus Nr 9 gibt es nicht mehr. Es lag 7 m nördlich der heutigen Weinscheune. Es wurde am 18. August 1874 per Kauf- Contract von den „Moritz’schen Erben“ an Ackerbürger Friedrich Rust verkauft. Der Kaufpreis betrug 232 Thaler Courant und war am 1. März 1875 ohne Zinsen zu bezahlen. 1879 diente es noch nur der Landwirtschaft. Sein Alter wurde auf 100 Jahre geschätzt demnach aus 1779. 1926 war es auf 120 Jahre veranschlagt, demnach aus 1806.Bis 1935 blieb Friedrich Rust Eigentümer, dann wurde das Anwesen auf Fritz Kollmeyer überschrieben (NRÜ II 1282/ 12 bis 19) Heute ist das Grundstück Teil eines privaten Parkplatzes.
Haus – Nummer 10 ist die heutige „Weinscheune“. Die ursprüngliche Bestimmung als Längsdurchfahrtscheune erkennt man am linken großen (hier blauen)Einfahrtstor, in das landwirtschaftliche Fuhrwerke längs in die Scheune einfahren und am anderen Ende wieder ausfahren konnten.
Innerhalb des Gebäudes wurden die landwirtschaftliche Erzeugnisse zur rechten Seite hin ausgeladen und gelagert. Die Durchfahrt diente auch als Dreschtenne. Diese Aufteilung erkennt man auch heute noch im Innern des jetzigen Hauses. Die Halle ist 24,83 m lang und 11,85 m breit, davon etwa 3 m Durchfahrtspur.
Im Bildband „Baudenkmale in Niedersachsen“ aus 2005 ist dieses Gebäude abgebildet. Es wird als „jüngst sanierte Längsdurchfahrtscheune der 1. Hälfte des 19. Jh.“beschrieben. (Also um 1850) Es sei innerhalb eines historisch bedeutsamen Quartiers gelegen. (Chronik der Schützenfeste)
Gemäß der „Einschätzung für die Gebäudeversicherung“ vom 10.September 1908 gehörte die Scheune noch Louis Deiters,(1282/ 3) auch noch 1926, eingestuft als „Scheune- Landwirtschaft“.(NRÜ II 1282/ 5)
Dem Eigentümer Ackerbürger Louis Deiters wurde ihr 1908 ein Alter von 60 Jahren, also seit 1848 bestehend bescheinigt. Noch 1926 ist Deiters Eigentümer. Der Scheune wurde in der „Einschätzung für die Gebäudeversicherung am 2.12.1926“ das Alter von 80 Jahren, dh, seit 1846 attestiert. Die Bauausführung ist mit „genügend“, die „Instandhaltung“ mit „genügend bis ungenügend“ beschrieben. (NRÜ II 1282/ 5
Am 11.9.1937 ist Fritz Kollmeyer als Eigentümer eingetragen, bestätigt durch eine weitere „Einschätzung“ vom 1.2. 1939. Seit 1937 benutzte sie Fritz Kollmeyer als Weinlagerraum. Da wurde noch ein Alter von 100 Jahren, d.h. aus 1837zugrunde gelegt. 2014 konnte Giovanni Ciano die Scheune von dem Kollmeyer-Neffen Plinke erwerben und stilgerecht als „Weinscheune“ betreiben,
Außer der Weinscheune sind alle verbliebenen Gebäude „Am Schützenplatz“ nicht wiedererkennbar umgebaut, modernisiert worden. Sie lassen nichts mehr von ihrer ursprünglichen Aufgabe und Aussehen erkennen. Für Zwecke der Landwirtschaft hätten sie ohnehin ausgedient.
(HD Mai 2019)
Quellen:
- Hans- Joachim Naujoks, 1993, Chronik der Schützenfeste, S. 38
- Denkmale in Niedersachsen Region Hannover, Teil, 2 2005
- Prospekte der Weinhandlung und Sektkellerei Kollmeyer, Dupres
- Mündliche Angaben von Guiseppe Ciano
- Archiv der Region Hannover NRÜ II 1282, KA 1434