Kennen sie die Schauburg Lichtspiele oder die Gastwirtschaft „Stadt Hannover“ in Neustadt? Gasthäuser haben in Neustadt eine wichtige Tradition. Dort traf man sich, feierte Familienveranstaltungen, Parteitreffen, tanzte und zeigte seinen gesellschaftlichen Stand, damals wie heute.

Wer in Neustadt am Rübenberge einen Festsaal brauchte, ein Familienfest zu feiern hat, eine Vorstandssitzung organisieren soll, kegeln möchte oder einfach nur ein Bierchen geniessen will, zog bis Ende 2011 gerne  die Calenberger Stuben in Betracht.

Gastwirtschaft Calenberger Stuben in Neustadt am Rübenberge heute

Gastwirtschaft Calenberger Stuben in Neustadt am Rübenberge heute

Dabei ist es interessant, auch die Geschichte dieses Hauses zu beleuchten, denn die Geschichte der heutigen Calenberge Stuben gibt Auskunft über das soziale Leben und die gastwirtschaftliche Geschichte im alten Neustadt.

Aus den Anfängen: Poppe

Noch im Jahre 1853 hieß die Strassenbezeichnung aller Häuser westlich des ehemaligen Stadttores „Vor Dem Lauenthore“. Dieses Stadttor lag etwa im Bereich des Kaufhauses Hibbe in der Marktstrasse. Unter der Brandcassen- Nummer 153 finden wir den Eintrag „Vor dem Lauenthore, Friedrich Poppe, jetzt dessen Erben„. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Neustadt noch keine Hausnummern. Diese wurden erst später eingeführt. Die Brandkassen-Nummern ersetzten damals die Hausnummer. 1857 erscheint erstmalig die Strassenbezeichnung „Nienburger Strasse“. Unter der jetzt angeordneten Hausnummer 5, gleichzeitig eben jener Brandkassen- Nummer 153, wird ein geschlossenes Wohngebäude mit Nebengebäude als Bürgerstelle beschrieben. Der Eigentümer ist auch hier „weil. Friedr. Poppe“. (weiland = verstorben).

Wann genau an dieser Stelle erstmals ein Gastbetrieb entstand, ist ungewiß. Die Lage bot sich dafür an, lag das Grundstück doch direkt an der Hauptstrasse Hannover- Bremen, nicht weit vom Bahnhof entfernt und doch günstig zur historischen Altstadt. In einem seit etwa 1894 fortlaufend geführten Verzeichnis der Gast- und Schankwirtschaften in Neustadt, ist Friedrich Poppe zwar als Gastwirt aufgeführt, die Frage nach dem Datum der ersten Konzession wird aber beantwortet mit “ Aus den Akten nicht ersichtlich„.

Immerhin werden offensichtlich schon vor 1894 für „Fremdenverkehr“ 4 Logierzimmer mit 6 Betten“ angeboten. Darüber hinaus warb man schon damals mit Stallung für 6 Pferde und Hofraum für die Aufstellung von Wagen. Wurde auch der erste „Benzin- Motor- Wagen“ in Neustadt erst 1895 gesichtet, war Parkangebot auch damals schon, wenn zunächst wohl nur für Pferd und Wagen, ein wichtiges Werbeangebot. Diese Werbung schlug sich in dem Begriff „Gastwirtschaft mit Ausspann“ nieder – in dieser Gastwirtschaft konnte man die Pferde, die die Kutschen zogen, ausspannen. Das war eine Voraussetzung um Post- und andere Kutschen zur Übernachtung zu gewinnen.

Nach Friedrich Poppe ist „Dorothee, Wittwe“, aktenkundig. Die erste bekannte Betriebskonzession wird am 19. November 1894 ausgestellt, jedoch für den Nachfolger Theodor Poppe.

Gastwirt Eberhardt

1899 verkaufte Theodor Poppe die „Gastwirthschaft mit Ausspann“ an Fritz Eberhardt aus Porta. Dessen Schankkonzession galt ab 31. Januar 1899.

Gastwirtschaft mit Ausspann in Neustadt am Rübenberge wechselt den Besitzer

Gastwirtschaft mit Ausspann in Neustadt am Rübenberge wechselt den Besitzer

1905 erging die Anordnung, die Konzession wieder einzuziehen. Dem widersprach Friedrich Eberhard, weil er wegen eines grösseren Brandes schweren Schaden erlitten habe. Ebenfalls 1905 hatte der Magistrat seine Pläne für einen völligen Neubau genehmigt. Der Maurermeister Wilhelm Sievers, der kurz zuvor das Geschäft des bei einem Eisenbahnunfall verunglückten August Redderoth übernommen hatte, gab jedoch die genehmigten Unterlagen zurück. Er plante das Gebäude so, wie es in seiner Grundform bis heute besteht. Wir können daher für sicher annehmen, daß das heute unter „Calenberger Stuben“ bekannte Haus aus dem Jahre 1906 stammt.

Tatsächlich erhielt Eberhardt am 17. August 1906 eine neue Betriebserlaubnis mit der Zusatzerklärung im Register: „Neubau“. Unter Gastwirt Eberhardt erhielt der Gasthof den Namen „Stadt Hannover“

Postkarte des Gasthof Stadt Hannover in Neustadt - heute Gasthof Calenberger Stuben

Postkarte des Gasthof Stadt Hannover in Neustadt – heute Gasthof Calenberger Stuben

Die Postkarte wird zwischen 1906 und 1908 entstanden sein. Sie zeigt noch den Anbau eines kleinen Saaltraktes, der vermutlich 1924 durch einen Größeren ersetzt wird.

3. Gastwirt Lüders

1908 ging die Gastwirtschaft in den Besitz von Wilhelm Lüders über.

Mitteilung in der Leinezeitung vom 22. Dez. 1908

Er ist auch sofort in das „Verzeichnis der Strassenbezeichnungen und Hausnummern“ von 1908 aufgenommen worden. Bei der Gelegenheit ändert sich die Hausnummer von Nr. 5 zu Nr 6. In der unmittelbaren Nachbarschaft lebte im Haus mit der der Nummer 4 der Bürger Carl Koch. Das neue Haus mit der Nr. 5 gehörte Friedrich Dörge und die Nr. 7 gehörte der evangelischen Kirchengemeinde. Bei diesem Grundstück handelt es sich wahrscheinlich um den Friedhof entlang der Bahnstrecke, gegenüber.

1909 übernahm Wilhelm Lüders die Gastwirtschaft. Er investierte in eine populäre, moderne Unterhaltung: Er baute eine Kegelbahn. Kegeln kannte man schon seit dem Mittelalter, doch wurde bis in das 18. Jahrhundert hinein ausschließlich im Freien gekegelt. Bereits seit 1889 gab es den Deutschen Keglerbund mit festen Regeln und Meisterschaften. 1891 gab es deutsche Meisterschaften im Kegeln und 1908 war der Kegelsport durchaus für die breite Masse geeignet.

Annonce in der LZ v. 27.5.1909: Neueröffnung der Kegelbahn

Übrigens: Diese historische Kegelbahn gibt es heute noch. Überhaupt zeigte sich Lüders modernen Medien gegenüber sehr aufgeschlossen. Er schuf zur weiteren Unterhaltung der Neustädter Bürger einen sogenannten American Biograph an. Dabei handelte es sich um ein Gerät zur Vorführung von Stummfilmen der US-amerikanischen Filmproduktionsgesellschaft Americal Mutoscope and Biograph Company. Es war ein Nachfolgegerät des klassischen Kinematographen. Im Jahre 1909 war das der modernste Stand der Filmvorführtechnik.

Anzeige vom 27. März 1913: Über den Kinematograph des Typen "American Biograph" laufen Stummfilme

Anzeige vom 27. März 1913: Über den Kinematograph des Typen „American Biograph“ laufen Stummfilme

Am 12. April 1913 heiratet „der Gastwirt und Witwer Johann Heinrich Wilhelm Diedrich Lüders aus Schierenhop, Gemeindebezirk Brebber, Kreis Hoya„, zu dem Zeitpunkt 40 Jahre alt, die 26jährige „Haustochter Luise Sophie Eleonore Tegtmeyer„. Deren Vater gehörte die Gastwirtschaft „Dammkrug“, die junge Frau kannte sich also im Gastbetrieb aus.

Der bisherige Saal wird den Erfordernissen nicht mehr genügt haben, so daß sich Lüders zu einem Neubau entschloß. Möglicher Weise kann man daraus schließen, daß sich sein gastwirtschaftlicher Betrieb und seine Investitionen in die Unterhaltung der Neustädter, rentierte. So entstand ein großer Festsaal. Dieser Anbau wurde im April 1924 mit einem Konzert und anschließendem Festball eröffnet.

Anzeige vom 11. April 1924: Einweihung des neuen Saals in Neustadt

Anzeige vom 11. April 1924: Einweihung des neuen Saals in Neustadt

Dieses Foto des Saals entstand wahrscheinlich 1924.

Der neue Festsaal von Gastwirt Lüders in Neustadt

Der neue Festsaal von Gastwirt Lüders in Neustadt

1929 waren die Ansprüche an Filmvorführungen ganz andere als 1909 und ein American Biograph / Kinematograph reichte nicht mehr aus. Erneut wurden in Lichtspieltechnologie investiert und im Lüderschen Saale wurden die „Schauburg= Lichtspiele“ eröffnet. Es lief der Stummfilm „Der Unüberwindliche“ von Hans Rameau und Max Obal,mit Luciano Albertini in der Hauptrolle.

Anzeige in der Leinezeitung vom 23 Okt. 1929: Die Schauburg-Lichtspiele

In einer „Nachweisung über die in Neustadt a. Rbge vorhandenen Gast- und Schankwirtschaften“ aus 1930 werden (einschließlich Kleinhandlungen mit Spirituosen) 22 Lokale aufgelistet. Das „Bierrestaurant“ von Wilhelm Lüders weist demnach einen 590 qm großen Betrieb aus. Zum Vergleich: Hotel Nülle, welches einst dort stand wo sich heute die Volksbank befindet, hatte 289 qm, der Gasthof Brüner (früheres Hotel zum Stern) hatte 217 qm aufzuweisen.

Lüders hatte somit den größten Saal in der Stadt anzubieten. Er blieb ständiger Mittelpunkt gesellschaftlichen Lebens, wurde gern von Veranstaltern, Vereinen, auch Parteien genutzt. Er bot Raum für vielfältige Ereignisse wie z.B. Kino, Laientheater, Maifeiern, Maskeraden, Stiftungsfeste, Wahlversammlungen, Verfassungsfeiern, Konzerte, Unterhaltungsabende, auch gelegentlich für eine Zwangsversteigerung.

1930 gelang es Wilhelm Lüders, sein Grundstück zu erweitern, indem er das südlich angrenzende Koch’sche Haus, Nienburger Strasse 4, auf Abbruch erwerben konnte. Wilhelm Lüders hatte Ideen; so legte er auf dem neu erworbenen Grundstück 1931 einen Bier- und Kaffeegarten an. Von diesem ist heute keine Spur mehr zu sehen. Er befand sich dort, wo heute die Einmündung der Strasse Rundeel den Autoverkehr lenkt. Neben dem Biergarten befand sich eine einfache Leuna-Tankstelle, die mit dem Eigentümer Quitmeyer noch bis in die 60iger Jahre betrieben wurde.

Der Lageplan des Biergartens am Rundeel von 1939 läßt die verkehrliche Enge im Bereich Rundeel, Nienburger Strasse, Marktsstrasse erahnen.

Der Lageplan des Biergartens am Rundeel von 1939 läßt die verkehrliche Enge im Bereich Rundeel, Nienburger Strasse, Marktstrasse erahnen.

Bernhard Müller

Mit der Verlobung der Tochter Lieschen Müller mit dem aus Lutter stammenden Bernhard Müller 1935 kündigte sich der Übergang in eine andere Besitzer-Generation an. 1939 beantragte Bernhard Müller, inzwischen Schwiegersohn, die „Erteilung zur Erlaubnis zum Betriebe einer Gaststätte“, die er umgehend erhielt. Im Antrag, zu dem auch der oben abgebildete Plan zählt, beschreibt Bernhard Müller die Lokalität so:

Lage und Beschreibung des Gasthofes:

  • „Stadt Hannover Inhaber Wilhelm Lüders Nienburgerstr, 6
  • Lage: Der Gasthof „Stadt Hannover“ liegt unmittelbar an der Hauptverkehrsstasse Hannover- Bremen.
  • Beschreibung der zum Gewerbebetrieb benutzen Räume: Im Erdgeschoß des Gebäudes sind das Gastzimmer, das Clubzimmer und der Saal. Im Obergeschoß sind 4 Fremdenzimmer, davon sind 3 Einzelzimmer und ein Doppelzimmer. Sämtliche zum Gewerbebetrieb benutzten Räume sind auf der Zeichnung mit X gekennzeichnet

Die Übernachtungspreise für das Einbettzimmer betrugen (etwa zwischen 1933 und 1939) 2,50 Mark, das Zweibettzimmer das Doppelte. Der Pensionspreis betrug 4 Mark, für das Doppelzimmer ebenso das Doppelte. Bei Einnahme des Frühstücks außer Haus wurde der Zimmerpreis um 50 Pfennig erhöht. Der Wirt wurde in jenen Zeiten als „Betriebsführer“ bezeichnet.

Postkarte des Gasthofs Müller in Neustadt am Rübenberge

Postkarte des Gasthofs Müller in Neustadt am Rübenberge

Das Entstehungsjahr dieser Postkarte ist nicht zu ermitteln. Das parkende Auto lässt darauf schließen, daß die Aufnahme aus den 50er Jahren stammt. Biergarten und Tankstelle sind noch vorhanden.

Bernd Müller

In der fünften Gastronomengeneration übernahm Bernd Müller 1974 die Wirtschaft seines Vaters. Umfangreiche Umbauten und Modernisierungen gingen mit der Übernahme einher. Der Denkmalpfleger der Stadt hatte bei Veränderungen  ein gewichtiges Wort mitzureden, was dazu führte, dass eine gut sichtbare Außenwerbung für das Lokal nicht mehr gestattet wurde. Ein Hotelbetrieb wurde nicht mehr angeboten. Die Zeit der rauschenden Feste war lange vorbei, der Saal wurde in diesen Zeiten nicht mehr benötigt, er wurde verpachtet, verschiedene Geschäfte siedelten sich darin an.

Bernd Müller benannte das Lokal nunmehr „Calenberger Stuben“ und bot bis Ende 2011  neben der Kegelbahn auch Clubräume und Gastronomie an. Zahllose Vereine waren zu Gast gewesen, zahllose Familienfeiern hat er bewirtet. Dabei hatte seine Frau immer für eine excellente Küche gesorgt.

Calenberger Stuben werden geschlossen

Calenberger Stuben werden geschlossen

Ein Traditionslokal ist wohl für immer geschlossen.

(HD , 7/10 aktualisert  12/11)

Quellen:

  • Regionsarchiv NRÜ II 29, NRÜ II 2306, NRÜ II 1440, NRÜ KA 1383, NRÜ KA 1436
  • Fotos S.W. Aus dem Bestand Bernd Müller
  • Foto farbig : Dyck 7/10
  • Zeitungsausschnitte: sämtlich aus der Leinezeitung zusammengetragen von Karin Horl Grasenick

[HD Juli 2010]


 

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