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In dieser Arbeit wurde gezeigt, dass Robinson Crusoe in der Tradition der Reiseerzählungen steht. Diese Tradition wurde anhand der Utopien Veiras´ und Smeeks´, fiktiven Reiseerzählungen, (Nevilles Isle of Pines), faktischen Robinson-Erzählungen und Augenzeugenberichten (Knox und Dampier) deutlich gemacht. Es wird klar, dass die Robinsonade bis Defoe aus einer Vermischung der fiktionalisierten Reiseerzählung und der Utopie besteht. Motive der faktischen Reiseerzählung prägen die Texte. Hier liegen auch die Wurzeln von Robinson Crusoe. Textuelle Zusammenhänge zwischen Crusoe und verschiedenen Vor- Defoeschen Reiseerzählungen sind zahlreich. Die charakteristischen Elemente der Erzählung Defoes sind in verschiedenen Vor- Defoeschen Texten schon zu finden.

Beispielsweise lieferten die faktischen Berichte über die Isolationssituation einzelner Personen die Idee für das Robinson-Motiv. Die Selkirk- Geschichte, welche die Öffentlichkeit faszinierte, trug zur Popularität des Robinson-Motivs bei und bereitete dem Verkaufserfolg Defoes den Weg. Die frühere Popularität von Nevilles Text zeigt, dass zum Zeitpunkt des realen Schiffbruches von Selkirk und dem acht Jahre später veröffentlichten Crusoe, das Schiffbruchmotiv schon eine Erzähltradition hatte und die Nachfrage nach die Aufgeschlossenheit der Leser für solche Erzählungen bereits vor dem Erscheinen von Crusoe sehr groß war.

Es wurde deutlich gemacht, dass in diesem textuellen Prozess das Motiv einem Fiktionalisierungsprozess unterliegt. Faktische Erzählungen wurden als Quelle benutzt, verändert, ausgeschmückt, gekürzt und mit anderen Motiven vermischt. Bestimmte Details, die auch in Defoes Erzählung wieder zu finden sind, tauchen vorher schon in vielen andern Texten auf. So hat das Motiv des Pfahles, des Festungsbaus, des Fußabdruckes am Strand oder der Ziegenfellbekleidung eine eigene Dynamik und gibt verschiedenen Erzählungen einen Bezug zu realen Ereignissen.

Viele Motive der faktischen Reiseerzählung tauchen in späteren Texten in unterschiedlicher Fiktionalität wieder auf. Diesem Prozess unterlagen besonders Landschaftsbeschreibungen. So dienten Smeeks und Defoe vor allem die Texte von Knox, Dampier und Rogers als Quelle für diverse Beschreibungen und Motive. Auch sind textuelle Beziehungen dieser Art zwischen fiktiven Texten zahlreich. Plagiieren war eine übliche Methode der Textgestaltung, die sowohl von der Wegbereitern Defoes als auch von ihm selbst benutzt wurde. So wurde zum Beispiel deutlich gemacht, dass das Robinson-Motiv bei Smeeks viele charakteristische Züge hat, die bei Defoe wieder zu finden sind. In Robinson Crusoe ist die Isolations-Geschichte jedoch Hauptbestandteil der Erzählung, während sie bei Smeeks lediglich eine wichtige Episode bildet.

Während die faktischen Erzählungen „objektive“ Darstellungen des Überlebenskampfes und seine Schwierigkeiten durch Aufzählungen und Beschreibungen von Ereignissen liefern, wird das Robinson-Motiv im fiktiven Erzähltext dazu benutzt, Fähigkeiten und Intellekt des Menschen idealtypisch darzustellen. Die Annahme, dass ein Mensch in Isolation auf einer Insel real überleben kann, ist aber ein Mythos: “The narratives of shipwrecked or marooned sailros written before 1719 indicate not that they behaved as Crusoe did, but that they collapsed into a barbarous state, even to the point of madness“ (White, 138). Ohne Gesellschaft ist Leben nicht möglich.

Hier wird deutlich, dass das Robinson-Motiv mit der Zunahme seines Fiktionalisierungsgrades mehr und mehr als Kunstgriff Verwendung findet. Es dient dazu, eine bestimmte Idee idealtypisch darzustellen. So haben auch die Robinson-Figuren bei Smeeks und Defoe ein bestimmtes Gesellschaftsbild. Sie strukturieren ihre Umwelt entsprechen ihrer Vorstellungen und Werte und bilden somit eine Ein-Mann-Gesellschaft (Crusoe und Freitag bilden später eine Zwei-Mann-Gesellschaft). Das Robinson-Motiv wird als Erzählrahmen für die idealtypische Darstellung eines Gesellschaftsbildes genutzt.

Die Verwendung des Motivs der Isolation von der eigenen Gesellschaft ist auch in der Utopie von Veiras (und bei Foigny) zu finden. Hier wurde in Anlehnung an die faktischen Ereignisse vor Australiens Küste der Schiffbruch und die Isolation von der eigenen Gesellschaft dazu benutzt, von einer Kulturbegegnung zu berichten und einen fiktiven Staat idealtypisch darzustellen. Der Schiffbruch und der Rahmen im damals unbekannten Südland diente als Kunstgriff zur Darstellung dieser Utopie. Sowohl in der El- Ho- Geschichte, als auch in Robinson Crusoe fehlt das utopische Element; dennoch dient die Verwendung der Isolationssituation in der Utopie als Vorbild für die Benutzung des Robinson- Motivs bei Defoe; in beiden Fällen wird nämlich eine bestimmtes Weltbild gezeichnet, welches in der Isolationssituation idealtypisch dargestellt wird. Die Texte von Veiras und Smeeks dienten nicht als Beispiel für die Isolation eines Einzelnen (hierfür lieferten vor allem die faktischen Reiseberichte die Idee und das Anschauungsmaterial), nehmen dem Text Defoes aber stilistische und erzähltechnische Gestaltung des Textes und die Idee der Darstellung eines bestimmten Weltbildes im Rahmen einer Insel-Erzählung, vorweg. Das Robinson-Motiv in Defoe Crusoe (welches den Hauptteil der Erzählung ausmacht) ist daher – obwohl anti-utopisch – geprägt von textuellen Merkmalen Utopien Veiras´ und Smeeks´.

In den Erzählungen Nevilles, Veiras´ und Smeeks´ wird auch die Einstellung der Figur Crusoe der Weg bereitet und eine kritische Diskussion zeitgenössischer Politik und Philosophie durchgeführt. Die Texte sind Indikatoren eines Wandels philosophischer Grundlagen. Robinson Crusoe hingegen reflektiert den vollzogenen Wandel des Weltbildes, der sich in den Texten von Veiras und Smeeks ankündigt. Darüber hinaus wurde im Verlauf dieses Aufsatzes deutlich, dass auch Wechselwirkungen zwischen philosophischen Diskussionen und Vor- Defoeschen Reiseerzählungen zahlreich sind.

Ebenso wie das Robinson-Motiv entspringt das Motiv des Kulturkontaktes der faktischen Reiseerzählung. Es wurde deutlich gemacht, dass auch der Kulturvergleich im Erzähltext eine bestimmte Tradition hat: Bei Veiras und Smeeks hat der Kulturkontakt satirischen Charakter; Kirche und Staat in Europa werden durch die vergleichende Darstellung einer utopischen Gesellschaft kritisiert. Das Bild des „Wilden“ dient hier der Kritik der eigenen Prämissen. Der bei Defoe dargestellte Kulturkontakt entspringt dieser Tradition. Einerseits wird zwar die kulturelle Überlegenheit Crusoes im Vergleich zu Freitag explizit dargestellt, und Crusoe rechtfertigt sowohl die Sklaverei, als auch die Unterdrückung anderer Völker; gleichzeitig werden aber durch den Kulturvergleich auch die eigenen Schwächen bloßgelegt. In allen Fällen führt er zu einer gefestigten ideologischen Position und dient der kulturellen Selbstfindung während des Prozesses der Expansion Europas und der damit einhergehenden Globalisierung der Welt.

Für das hier zu findende Motiv des Kulturkontaktes waren zum großen Teil die Australien-Aktivitäten der VOC Hauptquelle für fiktive Erzählungen. Der Australien-Erzählrahmen bestimmt Nevilles´, Veiras´ und Smeeks´ Text maßgeblich mit. Zahlreiche Hinweise auf faktische Bezüge sind hier zu finden. Wie deutlich wurde, sind Beziehungen zwischen diesen Texten und Crusoe zahlreich, so dass sich die Australien-Aktivitäten zumindest indirekt auch auf Defoes Text auswirkten. Fausett vermutet sogar, dass Defoe die eben genannten Erzählungen direkt als Quelle benutzte und die Isolationssituation Crusoes bewusst nach Süd-Amerika verlegte, um textuelle Beziehungen zu verbergen (Fausett, Strange Sources, 93). Tatsächlich sind viele Erzählmotive, die aus den faktischen Berichten über die Australien Ereignisse stammen (zum Beispiel der Pfahl als Kalender), bei Defoe wieder zu finden. Auch lässt der holländische Ausspruch „den wilde zee“(63), mit welchem Crusoe einen Sturm beschreibt, vermuten, dass Defoe die Australien-Ereignisse in faktischer oder fiktionalisierter Form kannte. Dieser Begriff wird in holländischen Texten dazu benutzt wird, einen speziellen stürmischen Zustand der See vor der australischen Küste nördlich von Perth zu beschreiben, wo auch die „Vergulde Draeck“ gesunken ist (Fausett, Strange Sources, 180).

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