Neustadt kann einige sehr schöne Grünanlagen vorweisen. Das Gegenstück zum Schlossgelände und dem anschliessendem Amtsgarten im Süden der alten Stadt ist der Erichsberg im Norden des mittelalterlichen Ortes. Diese Grünanlage hat eine besondere Geschichte, die es lohnt, in Erinnerung gerufen zu werden.

Moderner Brunnen am Erichsberg in Neustadt am Rübenberge

Moderner Brunnen am Erichsberg in Neustadt am Rübenberge

Der Erichsberg ist ursprünglich Teil einer Befestigungsanlage aus der Renaissance, die Herzog Erich II bis etwa 1584 um die Stadt herum anlegen ließ. Er war als Bastion konzipiert, von der aus die Stadt mit Kanonen verteidigt werden sollte. Der Amtmann Wissel berichtet später seinem Wolfenbütteler Herzog  über den Zustand der Stadt und seiner Festungsanlage u.a., die Entfernung von der Höhe der Mauer bis in den Graben betrage 9,34m. Er ist auch heute noch mit 47.00m ü.NN die höchste Erhebung in Neustadt. Der Name ist als „Bastion Erichsberg H“ seit 1587 nachgewiesen.[1]

Die Wehranlage wurde nach dem Tod Erichs II und dem Übergang des Herzogstums Calenberg an das Wolfenbütteler Fürstentum nicht mehr fertiggestellt. Im Gegenteil, das verwendbare Material wurde von den Wallmauern des Erichsbergs für den Bau der Leinebrücken, der Schleuse und ähnlichen Aufgaben genommen. Die Bastion verfiel und die ursprüngliche Gestalt fiel in Vergessenheit.

Historischer Lageplan des Erichsbergs - Die Bastion in Neustadt

Historischer Lageplan des Erichsbergs – Die Bastion in Neustadt. Oben links: Der Erichsberg, er wird in einem Plan von 1751 als „D, verfallenes Bastion“ bezeichnet.

Quelle des Planes: [2]

Mit Genehmigung der Kurfürstlichen Regierung vom 26. Mai 1772 wurde auf dem Walle nördlich der Achterstrasse, also wohl auf dem Erichsberg, eine Windmühle errichtet. Von da ab führte die Strasse den Namen „Windmühlenstrasse“. Die Windmühle hatte 837 Taler gekostet. In den 1870er Jahren wurde sie eines Tages vom Sturm umgeworfen und danach nicht wieder aufgebaut  .[ 3]

Erst 1832 befaßt sich der Magistrat wieder ernsthaft mit dem Erichsberg. [4] Er nimmt Bezug auf den Rezess von 1753, in dem u.a. zwischen der Stadt und dem Amt, dh. dem Herzog in Braunschweig Wolfenbüttel die Eigentumsverhältnisse im Moor geregelt wurden. Im Bericht vom 29,Febr 1828 wird festgestellt:

Daß der Stadt der Stadt=Wall und Graben – – – cadiert und eigenthümlich überlaßen wurde, und zwar dergestalt, daß die Bürgerschaft dieser Stadt ins besondere das in dem Stadtwall befindliche alte Mauerwerk und die Steine wegnehmen und den Wall applanieren könne, wobey jedoch das Amt sich den freyen Gebrauch von dem im sogenannten Erichsberg im Stadtwall befindliche Souterrain zum Salpeter=Sieden vorbehält.

Der Magistrat stellt weiter fest:

An die wirkliche Errichtung einer Salpetersiederung an dieser Stelle ist aber nie gedacht und wird in den jetzigen Zeitverhältnissen wohl auch niemand mehr einen Gedanken an deren Ausführung hegen. Das Souterrain selbst, ist soviel bekannt, stets unbenutzt gebleiben.

Ob einstmals die Herzöge von Braunschweig oder ihre Nachfolger im Erichsberg doch eine Salpetersiederei betrieben haben, ist demnach unwahrscheinlich. Die Verantwortlichen waren sich auch darüber in Klaren, dass die unvermeidbare Lagerung von Salpetererde auf dem Wall Schäden nach sich ziehen würden, deren Beseitigung gegen Vergütung jedoch durch die Stadt zu veranlassen wäre.

Die Oberen waren am Zustand des Erichsberg und seines Gewölbes wohl nicht sonderlich interessiert, heisst es doch 1828 vom Gewölbe:

Selbiges hat einen unbefriedigenden Eingang, welcher durch die vom Walle herabgefallenen Erde so nach und nach verschüttet ist, daß in demselben nur noch eine Öffnung sich befindet, durch welche ein Mensch mit Mühen hineinkriechen kann; inwendig soll es ein etwa geräumiges Gewölbe enthalten.

Wenn schon die Obrigkeit sich nicht für das Gewölbe interessierte, so gab es doch andere findige Nutzniesser:

Inwendig soll es ein etwa geräumiges Gewölbe enthalten, welches leider zu öfterenmalen und noch in voriger Woche von Dieben benutzt ist, um die gestohlenen Sachen darin zu verbergen.

Es war dann die Brauergilde, die sich ernsthaft für die Vorteile des Gewölbes interessierte, um ihr Bier dort lagern zu können, denn:

Der Keller unter dem hiesigen Brauhause ist zwar zweckmässig und gut in den den Jahre 1728 (also nach dem Grossen Brand von 1727) angelegt, aber ist in Hinsicht des längeren Aufbewahrens des Bieres zu klein.

Die Stadt vergewisserte sich 1832 beim Amt, nunmehr der Landdrostei in Hannover, ob es wegen der Salpetersiederei Vorbehalte gäbe. Die Königliche Großbritannische Hannoversche Landdrostei genehmigte

hiermit, daß der s. g- Erichsberg mit dem darin befindlichen Gewölben der dortigen Brauergilde, behufs Aufbewahrung von Bier gegen eine jährliche an die dortige Cämmerei zu entrichtende (Gebühr) von Einem Thaler überlaßen werde.

Genehmigung der Landdrostei in Hannover

Genehmigung der Landdrostei in Hannover

Die Brauergilde war zu diesem Zeitpunkt aber schon im Niedergang begriffen, es dauerte jedoch bis 1883, bis sie sich ganz auflöste. Ob sie das Gewölbe noch benutzt hat und wie das Gewölbe für den Gebrauch wieder hergerichtet wurde , bleibt noch offen.

Im November 1894 teilt Fr. Kollmeyer dem hochwohlöblichen Magistrat mit

daß ich geneigt bin, den unter dem Ehrigsberge hierselbst belegenen Ehrigskeller hierselbst anzukaufen.. Ich bin bereit, als Kaufpreis für den fragliche Keller den Betrag von M.250,- , allerhöchstens M. 300.- zu zahlen [5]

Die Stadt hat den Erichskeller nicht verkauft, aber 1910 mit dem Sektfabrikanten Fritz Kollmeyer einen Pachtvertrag für die Einlagerung von Most abgeschlossen. Er hat bei der Gelegenheit wesentliche bauliche Änderungen vornehmen lassen, u.a. Öffnung des Brunnens in der Kasematte, Öffnung des Kellers bei gleichzeitiger Anbringung eines Eisengitters, Einbau einer eisernen Tür, Betonierung des Fussbodens. Bis 1944 soll Kollmeyer hier in Holzfässern seinen „Dupres-„Sekt reifen lassen haben.

Für notwendige Ausbesserungsarbeiten am Erichsberg gab Fa. Wilhelm Sievers 1912 ein Gebot von 110 Mark ab, musste aber zu ihrem Leidwesen erfahren, dass die Arbeiten an die örtliche Konkurrenz, Fa Rahlfs, günstiger vergeben waren.

1927 wurde der Erichskeller zur erneuten Pacht ausgeschrieben. Dagegen regte sich Widerstand, weil der Erichskeller bisher einem „minderbemitteltem Teil unserer Stadtbevölkerung“ zur Unterbringung von Kartoffeln und Wintervorräten zur Verfügung gestanden hatte. Es wurde beantragt,

den bisher von uns benutzen Teil des Erichskellers zur Lagerung von Kartoffeln und Wintervorräten— weiter benutzen zu wollen und dafür eine unseren Verhältnissen entsprechende Vergütung zu bezahlen.

Wie diesen Leuten geholfen wurde , ist offen. Mit dem Gärtnermeister Poppe wurde ein Vertrag geschlossen, der ihm eine Champignonzucht erlaubte. Der Vertag wurde 1931 bis auf 1934 verlängert. [6]

Im 2. Weltkrieg hat es von Norden her, also vom „Neuen Rathaus“ aus, einen Durchbruch in die Kasematte gegeben, die so als Luftschutzbunker diente. Dieser Zugang wurde erst 1989 geschlossen.

Den militärischen Nimbus hat der Erichsberg verloren, im Gegenteil, er entwickelte sich, möglicherweise noch im 19. Jhdt. , zu einem beliebten Vergnügungstreffpunkt Neustädter Bürger. Es war dort inzwischen eine Gastronomie mit Kegelbahn und Tanzfläche entstanden.

Den Pächtern des Erichsbergs diente die Kasematte später tatsächlich wohl als Bierkeller. Die Pächter des Ratskellers erhielten im Unterpachtverhältnis in der Regel auch die Schankkonzessionen für eine Sommergastronomie auf dem Erichsberg. [7]  So ersuchte der Pächter des Ratskellers, Hugo Teumer, 1906 auch um die Nachtragskonzession für den Betrieb auf dem Erichsberg. Hier sei jedoch nur ein stundenweiser Ausschank vorgesehen. 1913 erinnert Bernhard Nielebock an die Ausdehnung der Konzession auch auf das Kegelhaus auf dem Erichsberg und fügt die unten abgebildete Grundrissskizze bei.

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Grundriss der Kegelbahn auf dem Erichsberg 1913

In den Sommermonaten wurde dort gekegelt, getanzt, getrunken, Musik gespielt und gesungen. Es muss dort teilweise so hoch hergegangen sein, dass Nachbarn sowie Mitarbeiter und Patienten des Krankenhauses von dem teilweise sogar mit Lautsprecheranlage verursachten Lärm belästigt wurden. Der Polizeihauptwachtmeister Sprengel musste 1932 die Witwe Nielebock als Pächterin des Betriebes ernstlich verwarnen. [8]

Hier oben auf dem Erichsberg befand sich einst eine Kegelbahn

Hier oben auf dem Erichsberg befand sich einst eine Kegelbahn (Blick Ost-West-Richtung)

Mitte 1945 gab es Überlegungen, in den Räumen des Erichsberges einen ev. Kindergarten anzulegen, da die Besatzungsmächte die dafür vorgesehene alte Schule besetzt hatten [9]. Anfang 1947 übergab der Pächter Rinne die Wirtschaft auf dem Erichsberg den Eheleuten Henry und Gertud Zinne. Deren Sohn Henry kam 1947 auf dem Erichsberg zur Welt.

Ehepaar Gertrud und Henry Zinne mit Sohn Henry. (Foto: Zinne, Privatbesitz)

Ehepaar Gertrud und Henry Zinne mit Sohn Henry. (Foto: Zinne, Privatbesitz)

Wie in alten Zeiten wurde sich hier unterhalten und getanzt. (Foto: Zinne, Privatbesitz)

Wie in alten Zeiten wurde sich hier unterhalten und getanzt. (Foto: Zinne, Privatbesitz)

Frau Zinne bemühte sich, die Anlage mit Blumenbeeten zu verschönern. Sie veranstaltet daher auch sogenannte Blumenfeste mit Musikapelle und Tanz.

Blumenfest auf dem Erichsberg (Foto: Zinne, Privatbesitz)

Blumenfest auf dem Erichsberg (Foto: Zinne, Privatbesitz)

Die obigen drei Fotos stammen von Frau Zinne. Sie hat ruebenberge.de die Fotos nach einem Interview im September 2013 freundlicher Weise zur Verfügung gestellt.

Zinnes Nachfolger und somit der letzte Gastwirt auf dem Erichsberg wurde Walter Jakobeit. Man kann sich heute nicht vorstellen, dass bis in die 50er Jahre des 20. Jds. noch Kegeln auf einer im Freien mit einfachen Bohlen ausgelegten Bahn möglich war und Tanz und Musik auf dem Erichsberg gang und gäbe war und zu den Vergnügungen der Neustädter gehörte [10] Die Gaststätte wurde etwa 1950/51 abgerissen, hauptsächlich, weil die sanitären Anlagen zeitgemässen Ansprüchen nicht mehr genügten.

Blick auf die Theodor Heuss Straße in Neustadt

Blick vom Erichsberg auf die Theodor Heuss Straße (ehemals Scharnhorststraße)  in Neustadt – Postkarte von ca. 1920

Nach langen Vorüberlegungen begann man 1986 im Rahmen der Stadtsanierung ernstlich mit Bauarbeiten zur Umgestaltung des Erichsbergs. Man stiess jedoch schnell auf bis dahin unbekannte Fundamentreste, zwei Kasemattentore und Teile des Festungsgrabens. Das erforderte kurzfristig eine völlige Umplanung. Die Anlage wurde nunmehr stärker den historischen Erkenntnissen angepasst.

Umbau des Erichsbergs und der Kasematten - historische Bauteile werden erhalten.

Umbau des Erichsbergs und der Kasematten – historische Bauteile werden erhalten.

Quelle: [11]

Umfangreiche Details zur Gestaltung liefert das von der Stadt 1990 herausgebene lesenswerte Buch „Der Erichsberg, Von der Entdeckung einer Festungsbastion, die Beschreibung derselben und wie sie in die Grünanlage Erichsberg verwandelt wurde“.

Das Tor zu dem Kasematten im Erichsberg

Das Tor zu dem Kasematten im Erichsberg

Die neue, 1990 eingeweihte Erichsberg- Anlage fand bei der Bevölkerung vollen Anklang. Auf dem südlichen gepflasterten Rundteil finden gelegentlich Veranstaltungen statt. In der Kasematte haben sich Fledermäuse angesiedelt. Einmal im Jahr werden sie gestört, wenn die Kasematte im Rahmen einer Führung besichtigt werden darf.

Die neuen Hinweistafeln machen darauf aufmerksam, wie gekonnt längst versunkene Geschichte und modernes Stadtleben einträchtig zu dem Park in seiner heutigen Gestalt zusammengefügt wurden.

Hinweisschild: Eine Info- Tafel der Stadt

Hinweisschild: Eine Info- Tafel der Stadt

HD 6/2010

Karte

Adressen und Ortsangaben zu wichtigsten Themen dieses Beitrags:

Der Erichsberg befindet sich zwischen der Straße Am Walle und der

Theodor-Heuss-Straße

31535 Neustadt am Rübenberge

Quellen:

  • [1] Rühling, Dissertation 1988, S 122
  • [2] Aus „Die Kunstdenkmale des Landes Niedersachsen, Kreis Neustadt a. Rbge.“
  • [3] Klages 1950, S 107
  • [4] Reg Arch NRÜ I 236
  • [5] Reg Arch NRÜ II 855
  • [6] Reg Arch NRÜ II 869
  • [7] Sieh unseren Beitrag zum Rathaus
  • [8] Regionsarchiv NRÜ II 1440
  • [9] Kirchenchronik Barby (KA Neu Alt Rep 27)
  • [10]Empfohlene Literatur.:Bednarski in „Der Erichsberg“ , Hrg.Stadt Neustadt a. Rbge
  • [11 ] Archiv, Sammlung Bartling
  • [12] Fotos: 3 Fotos aus dem Privatbesitz der Familie Zinne (gekennzeichnet) mit freundlichem Dank!

 

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