Badewelten 2 – Neustädter Jungs und Mädchen lernen schwimmen
Badewelten Teil 1 – Am Anfang war der Zuber
Badewelten Teil 2 – Baden in der Leine
Badewelten Teil 3 – Freibad, Hallenbad und Baden heute
Baden, schwimmen, planschen in der Leine? Badewelten! Neustädter Jungs und Mädchen lernen schwimmen in der Leine! Tatsächlich gab es historische Badeanstalten oder eine echte Fluß- Badeanstalt in Neustadt. Der handgeschriebenen Chronik von Klages ist unter der Überschrift „Die städtische Badeanstalt“ zu entnehmen
Schon am 8. Juli 1884 brachte die Leinezeitung ein „Eingesandt“ in Gedichtform, das die Einrichtung einer sehr bescheidenen Badeanstalt wünschte unter dem „Motto“:
o, eine Bretterbude nur
mit ein halb Dutzend Zellen,
und eine kleine Treppe dran,
zu steigen in die Wellen
Mit weiteren Gedichten und weiteren Eingaben wurden immer wieder Klagen über die fehlende ordentliche Bademöglichkeit erhoben. Der Magistrat scheint darauf statt mit konkreten Angeboten eher mit Sanktionen reagiert zu haben, z.B vom 29.6.1895
Bekanntmachung des Magistrats über Nacktschwimmer
Es ist in den letzten Tagen seitens einiger Badegäste der in der Nähe der Schleuse gelegenen Badeanstalt öfters dadurch Ärgernis gegeben, daß dieselben sich auf den Ufern der Schleuse, länger, als für den Zweck des Hinabsteigens ins Wasser nötig, in entkleidetem Zustand und teilweise ohne Badehose gezeigt haben….
Zuwiderhandlungen konnten mit Geldstrafe bis zu 9 Mark, evtl mit mehrfacher Haft bestraft werden.!
Es wurde also schon möglicher Weise immer auch in der Kleinen Leine an verschiedenen Stellen gebadet. Im August 1895 erlaubt sich der Kaufmann Baebenroth darauf hinzuweisen,
„daß es augenblicklich an einen geeigneten Badeplatz an der Leine fehlt, da die bisher benutzte Stelle am Amtswerder total verschlammt ist…“
Der Magistrat antwortet darauf mit der Bekanntmachung
Da die alte Badestelle an der Leine versumpft und nicht mehr brauchbar, andererseits die Herrichtung einer geeigneten Badestelle nicht mehr tunlich ist, so gestatten wir vorläufig das Baden an der Stelle , wo die sogen. Sandschleuse in die Leine mündet.[…] Baden ohne Badehose und Beschmutzen des umliegenden Terrains werden mit Geldstrafe bis zu 3 Mark, evtl. mit Haft bestraft.
Man kann sich auch heute noch vorstellen, wie einst vor der Schleuse dort gebadet wurde, dagegen ist eine geeignete Stelle an der „Sandschleuse“ heute nicht mehr auszumachen. Die Schleuse können Sie übrigens auch, ohne dass Sie Wassersportler sind, vom Mühlenparkplatz aus über die Stufen am Zaun und den Trampelpfad über die Weiden besuchen.
Der Neustädter Chronist Dr. Dietrich Redeker berichtet in seinem Büchlein (siehe Literaturverzeichniss), wie den Neustädter Jungs das Schwimmen beigebracht wurde, indem man sie einfach ins Wasser warf. und zwar „ in der Freibadeanstalt der Stadt Neustadt. Sie befand sich in der Kleinen Leine und bestand aus einer Bretterbude und einer Holztreppe , die in den schlammigen Fluß führte.“ Redeker sagt leider nicht, wo genau sich diese Badeanstalt befunden hat.
Die Flussbadeanstalt in der Leine
Der Ruf nach einer „richtigen“ Badeanstalt wurde schon ziemlich früh laut. 1895 schon wurden Forderungen gestellt, wie die sogar vom Landrat von Woyna mit unterschriebene Bittschriften an den Magistrat belegt: „Eine Badeanstalt ist für das körperliche Wohl, ohne daß es ein geistiges Gedeihen nicht gibt – unserer Kinder ein Erfordernis, für alle Bürger unserer Stadt aber wird sie zu einem wahren Jungbrunnen.“
Der Kreisphysikus plädiert 1897 (bereits mit Kostenanschlag über 2,500 Mark und konkreten Vorschlägen) für eine richtige Badeanstalt und hat auch keine Bedenken wegen der Verschmutzung der Leine . Diese seien nur zeitweise und nicht erheblich, die Wohltat des Wassers am eigenen Leibe hebe diesen Nachteil wieder auf.
Die Eingaben häufen sich und – ebenfalls 1897- reicht der Zimmermeister August Rischbieth eine erste „Skizze zu einer Sommerbadeanstalt“ ein, eine weitere Petition fordert die „Einrichtung einer Bade= und= Schwimm=Anstalt“
Was sagt die Stadt?
Die Stadt hielt sich in der Frage immer noch bedeckt: Noch aus 1910 stammt die handschriftliche „Anleitung des öffentlichen Badewesens“, worin genau unterteilt wird in „Das Baden im Freien“, „Das Baden in geschlossenen Räumen, auch Wannenbäder, Brausebäder, Hallenbäder“. Das Baden im Fluss wird nur oberhalb der Ortschaft empfohlen, es werden auch detaillierte Forderungen gestellt wie z. B. bakteriologische Untersuchungen des Wassers.
Der Magistrat hat sich wohl schon länger mit der Frage nach einer Flussbadeanstalt beschäftigt, aber nicht lösen können. In dem o.a. Schreiben von 1911 an den Reg.Präs. heisst es weite
Wir hatten auch schon […] seit längeren Jahren im Leinefluß ein öffentliches Schwimmbad eingerichtet, […] eine immer mehr zunehmende Verunreinigung der Leine macht eine derartige Veranstaltung unmöglich. Schon die meist schmutziggraue, häufig auch fast schwarze Farbe des Wassers, in welchem kompakte Schlammassen heraustreiben, benimmt dem Publikum die Lust am Baden im Flusse. Dazu kommt, daß die Fluten häufig übel riechen.
Gleichzeitig erklärt die Stadt hier auch aber ihre grundsätzlich Bereitschaft zur Einrichtung einer öffentlichen Badeanstalt im Leinefluß „und somit […] alljährlich in vielen Artikeln unserer Leinezeitung geäusserten Wunsch zahlreicher Einwohner unserer Stadt erfüllen“.
Das Bad an der Apfelallee
Es hat bis 1924 gedauert, bis die Stadt für 4.200 Mark eine Flussbadeanstalt an der Leine einrichtete und zwar an der Apfelallee , etwa 240 m oberhalb des Leinewehrs in Höhe des Wendeplatzes. Das für die Leine zuständige Staatliche Wasserbauamt erteilte im Januar 1925 seine Genehmigung mit der Auflage, dass die Baulichkeiten vom 1. November bis zum 1. Mai jeden Jahres abzubauen seien.
Oberhalb der Flussböschung und hochwasserfrei wurden 10 Umkleidekabinen sowie ein größerer Gemeinschaftsumkleideraum angeboten . Über Bretterbohlen gelangte man zu dem im Uferbereich ausgehobenen 6×8 m großen Nichtschwimmerbereich, daneben lag ein 2m breites Schwimm- Podest mit Treppeneinstieg in den in die Leine ragenden Schwimmerbereich. Dieser war in einer Größe von 20 x 25 m mit schwimmenden Rundhölzern eingefasst, sodass niemand in der hier ohnehin ruhigen Flussströmung abtreiben konnte. Die ganze Anlage wurde durch einen 2m hohen Bretterzaun eingefasst
Die Bademeister
Für 100 Mark in den Sommermonaten wurde 1925 der Städtische Bademeister Wilhelm Knospe wohl als Nachfolger von Bademeister Horstmann eingestellt, dessen Arbeit übernahm 1927 sein Bruder Otto Knospe, der auch später im Freibad an der Suttorfer Strasse Dienst tat und alten Neustädtern noch bekannt sein dürfte.
Die Tochter des Nienburger Badedirektors, Fräulein Krull übernahm an 3 Nachmittagen, an denen das Bad nur für weibliche Personen geöffnet wurde, den Schwimmunterricht und die Aufsicht nur für Damen. Weiter wurde geregelt, wann die Schüler und Schülerinnen der städtischen Schulen Schwimmunterricht bekamen, auch gab es einen Schwimmverein , dem eigene Benutzungszeiten eingeräumt wurden.
Trotz des weiten Weges aus der Stadt scheint das Bad zunächst gut angenommen worden zu sein. Wohl darum kam bereits 1926 vom Vorsitzenden des Männer-Turn-Vereins, Herr Frömling, die Anregung, das Bad noch zu vergrössern.
Klages
Tatsächlich aber- so schreibt Klages „ […] hat die Einrichtung die Erwartungen […] nicht erfüllt. Man hatte wohl nicht die „rechte“ Stelle gewählt. Die immer stärker werdende Verschmutzung der Leine und das Verschlammen des ohnehin sehr kleinen Beckens für die Nichtschwimmer ließen aus der Anlage kein Volksbad entstehen. Der Besuch ging von Jahr zu Jahr weiter zurück, so daß ab 1931 die Badeanstalt völlig unbenutzt dalag“. Noch 1930 hat die Stadt in einem Schreiben an Herrn Bäckermeister Kallmeyer vom Turnclub, für eine verstärkte Nutzung durch den Sportverein geworben, wohl aber vergeblich. 1931 wurde die Badeanstalt geschlossen, 1932 das Vertragsverhältnis mit dem Wasserbauamt gelöst. „Die Wasserfreunde waren nun wieder wie ehedem auf die Kuhtränke und den weiter entfernten Kolk angewiesen“ (Klages).
Die Stelle am Leineufer, an dem sich das Bad einst befunden hat, werden Sie nicht mehr finden, die Uferzone ist vollständig zugewuchert.
Badewelten Teil 3 – Freibad, Hallenbad und Baden heute
Historische Themen rund um Neustadt:
Weitere Artikel über die Geschichte der Stadt entdecken
- Die Scharfrichter von Neustadt
- Über Pino’s Weinscheune und die Umgebung
- Über die Kriegsgefangenschaft (1915-1918) des Neustädters August Schlüter in Russland
- Über die Zehntscheune in Neustadt am Rübenberge
- Über die sogenannte Eierscheune, Eierwirtschaft zu Kriegs- und Nachkriegszeiten, Abgabepflichten in der Landwirtschaft und Lebensmittelhygiene
- Über historische Hochwasser in Neustadt und ähnliche Dramen
- Das Familiengeschlecht der Von Campen zu Neustadt und ihr Epitaph in der Liebfrauenkirche
- Der Dammkrug: Seine Geschichte von 1764 bis heute
- Über Luftschutz- Bunker und Splitterschutzgräben in Neustadt am Rübenberge
- Zwischen den Brücken, Hausnummer 1 – Zur Geschichte des Anwesens
- Zwischen Steinkuhlenberg und Bleiche – Eine geschichtliche Zeitreise in die Moderne auf der Fläche zwischen Amtsgericht und Rektorschule
- Am Schützenplatz – Über ein Scheunenviertel
- Über die Ringwallanlage Lüningsburg
- Die evangelisch lutherische Liebfrauenkirche
- Über die Bürgerhalle
- April 45 – Die Sprengung der historischen Löwenbrücke über die Leine
- Aus den Kirchenbüchern: Von Hurenkindern und anderen Absurditäten
- Der Löwe in Neustadt – Wappentier
- Schloß Landestrost in Neustadt Rbge
- Die Besuche des Kaisers Wilhelm II in Neustadt am Rübenberge
- Stadtbild und Stadtentwicklung: Über Straßennamen und Hausnummern
- Über die Neustädter Wasserversorgung, alte Brunnen und neue Wasserspiele: ein virtueller Spaziergang durch die Stadt
- Über den Erichsberg
- Pferdeland in der Region Neustadt – Die Remonte von 1894 bis 1945
- Die Alte Wache – Geschichte und Geschichten
- Das Leinewehr, die Untiefen, die Leineschifffahrt, Wasserfall, Mühle, viel Streit und ein Aprilscherz in Neustadt
- Der Heini- Nülle- Platz und die Umgebung im Laufe der Geschichte
- Über die Sanierung der Löwenbrücke
- Wohnbauprojekte ab 1947 in Neustadt am Rübenberge
- Über den „Judenfriedhof“ in Neustadt am Rübenberge
- Über die Besonderheiten der historische Lindensiedlung, Ihre Stampfbeton-Häuser und Bewohner
- Anthon Christian Kallmeyer – Aufstieg und Niedergang einer Neustädter Familie im 18. Jahrhundert