Über den „Judenfriedhof“ in Neustadt am Rübenberge
Seit dem 18. Jahrhundert sind in Neustadt Bürger jüdischer Glaubensrichtung ansässig. 1755 lebten 26 jüdische Bürger in Neustadt, 1772 waren es bereits vier Familien mit eigenen Häusern. Die Statistiken wiesen bis in die 30er Jahre des 20. sten Jahrhunderts durchschnittlich um 60 hier ansässige jüdische Bürger auf. Sie waren im Ort akzeptierte und anerkannte Bürger, dennoch mussten sie sich frühzeitig um einen eigenen Friedhof bemühen.
Die frühen jüdischen Friedhöfe lagen meistens ausserhalb der Stadt. Sie befanden sich zudem oft an Orten, die von Menschen lieber gemieden wurden. Das trifft auch für den Friedhof der Neustädter Jüdischen Gemeinde zu – ein Friedhof wurde weit ausserhalb der Stadt, in Verlängerung des Weenser Dammes, nahe eines Leinebogens und der heutigen B6 genehmigt. Die Gemarkungsbezeichnung in unmittelbarer Nähe lautet „Galgenberg“. Möglicher Weise ist diese eine Stelle, die schon aufgrund ihrer Ortsbezeichnung, vielleicht auch auf Grund ihrer Historie gemeinhin nicht gern aufgesucht wurde.
Die erste noch zu belegende Beerdigung fand im Jahre 1804 statt. Es ist ungewiss ob es schon vorher welche gab. Der linke Eingangspfosten zum umsäumten Friedhofsgelände trägt die hebräische Jahreszahl 5587, also 1827 nach der mitteleuropäischen Standard- Zeitrechnung.
Der Friedhof ist heute über eine vom Waldweg abzweigende, fast zugewachsene Zuwegung zu erreichen. Auch für nichtjüdische männliche Besucher ist es Brauch, beim Besuch des Friedhofs eine Kopfbedeckung zu tragen, eine „Kippa“ oder einen Hut.
Wenn ein jüdischer Mitbürger beerdigt werden sollte, folgte die Trauergemeinde dem Leichenwagen zu Fuss zum etwa 2 bis 2 1/2 km von der Stadt entfernten Friedhof. Diese Ehre wurde auch von christlichen Mitbürgern erwiesen. Die nichtjüdischen Begleiter des Zuges blieben aber die letzten Meter an der Landstrasse zurück, die jüdischen Gemeindemitglieder blieben dann während der Beerdigungszeremonie unter sich.
Üblich ist die Erdbestattung. Es ist ein fundamentaler israelischer Glaubenssatz, dass die Totenruhe auf ewig zu erhalten sei, daher wird ein jüdisches Grab nicht eingeebnet. Grabsteine bleiben bestehen. Gräber lässt man mit Efeu oder Gras überwachsen.
Dieser Friedhof hat etwa 60 Grabsteine, sie sind nicht nur in hebräischer Sprache beschriftet, sondern auf der Rückseite auch auf deutsch. Auf der hebräisch beschrifteten Seite ist nicht nur der Name des Toten genannt, sondern auch der Name des Vaters (was für Genealogen von hohem Wert ist).
Zum Beispiel heisst es auf der Grabstätte 14 (s. Lageplan der Anlage) des Simon Jakobson, geb. 1819, gest. 29.8.1886 :
„Hier liegt begraben ein teurer und geachteter Mensch, schnell in seinem Handwerk, Krone seiner Frau, Pracht seiner Söhne und Töchter, beliebt bei seinen Bekannten, R. Schimon, Sohn von Jakob Jakobson, ging zu seinem Weltall am Sonntag 29. Menachem Aw. 5464. Seine Seele soll dem Leben verbunden sein„
Bei Grabbesuchen Blumenschmuck zu hinterlegen, ist nicht üblich. Statt dessen werden kleine Steine auf die Grabplatten gelegt. Dieser Brauch entstand wohl daher, dass jüdische Grabstätten in Israel oftmals in trockenen, wüstenartigen Gegenden gelegen haben möchten, in denen Blumen selten, Steine aber häufig waren.
Die (vor-) letzte Beerdigung soll 1928 stattgefunden haben. Nicht nachzuvollziehen ist , warum der Landrat nach einer Anfrage jedoch auf eine letzte Beerdigung im Jahre 1934 verweist:
Seit 1932/ 33 waren die Neustädter Juden zunehmend Diskriminierungen und Repressalien ausgesetzt. Nachdem in der Progromnacht des 09. Novembers 1938 das Gebetshaus der jüdischen Bürger zerstört wurde, umwickelten SA- Männer den Leichenwagen der jüdischen Gemeinde mit den Gebetsrollen und stellten ihn zwischen den Leinebrücken gegenüber dem Hause des Bankiers Meinrath ab. Dort wurde er am Abend des nächsten Tages in Brand gesteckt.
Von den 42 bei der Machtergreifung lebenden jüdischen Neustädter kam mindestens die Hälfte – 21 Personen- um. Die Emigration gelang nachweisbar neun Personen. Über das Schicksal von elf Neustädter Juden ist nichts bekannt.
Im Oktober 1938 beklagt der Regierungspräsident den „verwahrlosten“ Zustand einzelner jüdischer Friedhöfe. Er ersucht die Behörden festzustellen, ob jüdische Friedhöfe vorhanden seien, wann die letzte Beerdigung erfolgt sei, ob im Gemeindebezirk noch jüdische Einwohner vorhanden seien. (siehe Anlagen: Brief Teil 1, Teil 2. Quelle: Reg Arch Hann NRÜ II 1505 )
Er erhält die oben abgebildete Antwort, knappe Antwort aus Neustadt: Es ist ein jüdischer Friedhof vorhanden. Die letzte Beerdigung sei 1934 erfolgt (Die Jahreszahl können wir nicht nachvollziehen – Anm.d. Verf.). Es leben noch drei jüdische Familien im Jahre 1938 in Neustadt. Da ein Friedhof erst nach mehr als 40 Jahren nach einer letzten Beerdigung eingeebnet werden durfte, ist der Neustädter Judenfriedhof diesem Schicksal entkommen.
Im April 1939 musste die jüdische Gemeinde die 1,5 ha grosse Fuhrenkoppel „Am Galgenberg“ an die Neustädter Kommune verkaufen. Der jüdische Friedhof wurde im Mai 1940 für 70 RM an die Stadt abgegeben.
Der 958 qm grosse Friedhof wurde 1952 an den „JTC“ zurückgegeben, seit 1960 befindet er sich im Besitz des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden. Die Anlage wurde mehrfach instand gesetzt, 1957/58, 1978, in den 80er Jahren sowie 1999. Leider fanden 1956, 1967, 1986 auch Friedhofsschändungen statt.
1968 übernahm der Stadtjugendring die Aufgabe, die Wege in Ordnung zu bringen und die umgestürzten Grabsteine wieder aufzustellen. Insbesondere schuf der Kunstlehrer Hans- Peter Zaumbrecher zusammen mit Schülern der ehemaligen Realschule einen Gedenkstein. Die Skulptur ist Denkmal für Neustadts vertriebene und ermordete Juden, ein Ort der Erinnerung und der Mahnung. Sie stellt einen in drei Teile zerbrochenen runden Stein dar, die Bruchstücke symbolisieren die drei abrahamitischen Religionen, das Judentum, die Christenheit und den Islam.
Die Pflege des Friedhofs hatte Anfang der 1969er Jahre die DRK- Jugendgruppe übernommen, ab 1988 war die Stadt Neustadt zuständig; 1993 pflegte der Deutsche Amateur- Radioclub das Gelände. Über heutige „Patenschaften“ ist hier nichts bekannt.
HD 6/2011
Literaturquellen und Zitate:
- Reg Arch Hann NRÜ II 1505
- Historisches Handbuch der Jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen,Hrg: Herbert Obenaus, Wallstein Verlag
- Leinezeitung 10.6.2008
- Wikipedia
- Fotos: Dyck 5/2011