Über die sogenannte Eierscheune, Eierwirtschaft zu Kriegs- und Nachkriegszeiten, Abgabepflichten in der Landwirtschaft und Lebensmittelhygiene
Eingeklemmt zwischen den Gleisen der Eisenbahn und der alten Gastwirtschaft „Zur Eisenbahn“ von Scheve und nördlich des letzten Teils der Marktstraße in der Nähe der Eisenbahnschranke befand sich einstmals eine aus roten Klinkern gemauerte Scheune mit einem steilen und roten Ziegeln gedeckten Dach. Inzwischen ist der beschrankte Bahnübergang einer Unterführung gewichen, Hotel Scheve ist derzeit eine Unterkunft für Flüchtlinge, die Scheune wurde Mitte der 70er Jahren abgebrochen. Postkartenbilder von ihr sind nicht erhalten, dennoch wollen wir hier der eigenen Geschichte und der Besonderheit dieses Gebäudes nachgehen.
Scheune Heusmann, später Scheve ca. 1880 bis 1934
Das 1865 eröffnete und 1892 umfassend umgebaute Gasthaus mit Ausspann von Heinrich Heusmann bot eine Stallung für 12 Pferde. Dazu gehörte die danebenliegende Scheune, in der ursprünglich wohl bis um 1934 landwirtschaftliche Produkte und Geräte gelagert wurden.
In einem Gemarkungsplan von etwa 1880 ist in der Randlage jenseits der Landwehr (der Teil wurde später in Marktstraße umbenannt) auch das damalige Gasthaus Heusmann mit der danebenstehenden Scheune dargestellt. Die Gastwirtschaft ging später in die Hände der Familie Scheve über.
Der hier dargestellte Teil der Landwehr wurde 1908 in Marktstraße umbenannt, Gasthaus Heusmann –(später Scheve) und die an die Eisenbahn angelehnte Scheune- erhielten dabei die bis heute gültige Hausnummer 21.
Als die Erben, die Geschwister Heusmann, 1919 ihre Gastwirtschaft „mit danebenliegender Scheune“ zur Versteigerung anboten, wurde sie mit aufgeführt. Sie war auch Teil des mehrere Objekte umfassenden Verkaufsangebots:
Dass die in der Anzeige von 1916 angekündigte Sammelstelle damals schon in der Heusmannschen Scheune eingerichtet wurde, ist unwahrscheinlich. Die Familie Heusmann, die über einige Felder und Ländereien verfügte, wird die Scheune von Anfang an für den eigenen landwirtschaftlichen Gebrauch errichtet haben. In der Ackerbürgerstadt Neustadt war landwirtschaftlicher Nebenbetrieb verbreitet. Durch eine große Toreinfahrt konnten u.a. mit Getreide beladene Fuhrwerke hier untergestellt werden. Später konnten auch die Wagen der Landwirte, die ihre Erzeugnisse auf der in direkter Nähe befindlichen Fuhrwerkswage wiegen ließen, untergestellt werden.
Eierverwertungsgenossenschaft e.G.m.b.H. 1934 bis 1953
Am 24. März 1934 schlossen Sophie und Konrad Scheve mit der „Eierverwertungsgenossenschaft e.G.m.b.H.“ einen Vertag über die Nutzung des Gebäudes. Für die Genossenschaft unterschrieb als Vorsitzender Heinrich P. (vermutlich Petersen?) Ob die Genossenschaft zu diesem Zeitpunkt schon länger bestand oder jetzt erst neu gegründet worden ist, geht aus dem Vertrag nicht hervor.
Mit diesem Vertrag wurden der Genossenschaft der nötige Umbau sowie das Anlegen einer Verladerampe zur Eisenbahn gestattet. Weiter wurde erlaubt, dass der Hofraum jederzeit von Fuhrwerken aller Art, die zur GmbH wollten, befahren werden durfte. Darüber hinaus wurde genügend Hofraum zur Verfügung gestellt, um einen weiteren Schuppen und einen Pferdestall für Vermieter zu errichten.
1938 wird bei der Behörde ein Umbau beantragt. Der Zweck des entsprechenden Bauantrages war: “Das Scheunentor, welches nicht mehr in dieser Größe benötigt wird, soll verkleinert werden“. Als Antragsteller zeichnete Herbert Scheve, der Wirt des daneben liegenden Lokals „Zur Eisenbahn“. Der Zweck der Scheune wird hier „jetzt Eierverwertung Neustadt a. Rgbe.“ zugeschrieben.
Die Räume waren schon vor dem Umbau mit den Bezeichnungen Büro, Sortierraum, Lagerraum aufgeteilt. Die Scheune diente schon länger nicht mehr landwirtschaftlichen Zwecken, sondern hier war die Verwaltung, Sortierung und Lagerung von Eiern untergebracht. Die Scheune hieß daher im Volksmund bis zum Ende ihres Bestehens die „Eierscheune“.
Ursprünglich war die Genossenschaft ausschließlich für Vertriebszwecke gegründet worden, nicht wegen kriegsbedingter Lebensmittelknappheit. Erst mit Ausbruch des Krieges am 1.8.1939 setzte die Zuteilung der Lebensmittel auf Karten ein und je länger der Krieg dauerte, desto knapper wurden die Lebensmittel, eine immer geringer werdende Zuteilung wurde die Folge. Die rationierten Kontroll- und Abgabefunktionen hatte die Genossenschaft also erst für die Kriegs- und Nachkriegsjahre zu übernehmen.
Im Krieg oder in der Nachkriegszeit spielte sich der Umgang mit den Eiern in der Erinnerung älterer Neustädter wie folgt ab: Der Mitarbeiter der Genossenschaft Waldemar Hische fuhr derzeit mit einem kleinen 3-rädrigen mit einer Pritsche ausgestattetem Motorfahrzeug über Land und sammelte bei den Erzeugern die Eier ein, die in vorgeschriebener Menge vollständig abgeliefert werden mussten. In der Scheune wurden sie dann von vier Frauen nach Größe sortiert, in einer Dunkelkammer durchleuchtet und gestempelt. Sie wurden in Kartons verpackt, auf Lastwagen geladen und abtransportiert. In der Vorweihnachtszeit wurden darüber hinaus von zahlreichen Frauen Gänse gerupft. Die Frauen wurden aber nicht mit Geld, sondern mit Eiern bezahlt.
Bis zum Jahre 1943 war der Geschäftsführer der Eierverwertungsgenossenschaft“ Otto Baer, bekannt auch als Kinovorführer des späteren „Capitol“. Als 1943 das Bekleidungskaufhaus Wage schließen musste, der Inhaber war den Machthabern nicht genehm, wurde Wage nun zum Geschäftsführer der Genossenschaft ernannt. Herr Günther Wage jn. berichtet, dass sein Vater mit seiner Buchführung sogar Gewinne erzielen konnte! Diese Funktion füllte er bis nach Kriegsende aus.
Auch nach dem Krieg bestand die „Eierverwertungsgenossen- schaft“ weiter. Im „Amtsblatt“ von Paul Hergt vom 11.7. 1947 wird zu einer Versammlung eingeladen. Welche Personen der Genossenschaft angehörten, wer den Vorstand vertrat, wo sich das Geschäftszimmer befand: all das ist heute nicht mehr umfassend überliefert. In einigen wenigen Anzeigen im „Amtsblatt“ tritt die Genossenschaft, meist stellvertretend für den Kreis oder das Fachministerium in Erscheinung.
Noch Anfang 1948 erließ die Kreisverwaltung eine Anordnung über die Ablieferung von Hühner- und Enteneiern. Sie waren wie auch schon während des Krieges an bestimmten Stellen zu den festgesetzten Preisen abzugeben, sofern sie nicht der Selbstversorgung dienten.
In der darauf folgenden Verordnung vom 31.Mai 1948 wurde genau aufgezählt, wieviel Eier abzugeben waren. So war jeder landwirtschaftliche oder gewerbliche Betrieb verpflichtet, im „Eierwirtschaftsjahr“ 1947/48 von jeder Henne 50 Eier zuliefern.
Eier waren ein begehrter Artikel und wurden zugeteilt. Die Offiziere der englischen Besatzungsmacht sollen sich gerne der Eier aus der Scheune bedient haben, sie wurden einfach beschlagnahmt. Auch ein Einbruch in die Scheune wurde vermeldet. Ehemalige Kriegsgefangene oder Zwangsarbeiter, sogenannte, displaced Persons, waren eingebrochen, sie wurden aber von der Militärpolizei überrascht. Darauf warfen die Leute die Eier in ein Feuer, welches sie sich zum Braten oder Kochen der Eier angelegt hatten.
Bis zur Währungsreform 1948 blühte der Schwarzmarkt, es stiegen nicht nur die Lebensmittelpreise in astronomische Höhen. Der behördlich festgesetzte Tagespreis für 1 Ei war 9 Reichspfennig, der Schwarzmarktpreis betrug 5 bis 10 Reichsmark! So verhielt es sich übrigens mit allen Lebensmitteln. Butter wurde z, B, statt zum regulären Preis von 1,80 Reichsmark unter der Hand für bis zu 240 Reichsmark gehandelt! (Klages 1950)
Ein weiteres Mal ist am 25. September 1948 von der Eierverwertungsgenossenschaft die Rede. Der Mitarbeiter Otto Baer, der schon vor 1945 in der Scheune Dienst tat, rief per Anzeige zur Ablieferung von Wolle in der Wollannahmestelle bzw.Eierverwertungsgenossenschaft auf.
Am 18. September 1951 wird der Pachtvertrag aus 1934 gekündigt. Die Räume werden nicht mehr benötigt, durch Beschluss der Generalversammlung wird die Eierverwertungsgenossenschaft liquidiert. Die Kündigung wurde von Herrmann Ristenpart und Georg (Riekenberg?) unterschrieben.
1952 besann sich die Gesellschaft und mietete die Räumlichkeiten mit einer vierteljährlichen Kündigungsfrist erneut an.
Den Namen „Eierscheune“ hat sie aber bis zuletzt behalten.
Wäscherei Müller 1953 bis 1966
Eine erneute Vermietung der Scheune ließ nicht lange aus sich warten. Zunächst wurde das „den ersteren (Herbert Scheve) gehörige in Neustadt / Rbge, Marktstraße 21 belegene Nebengebäude (Früher Eierverwertungs=G.m.b.H.)“ mit Vertrag vom 19.Juni 1953 an den Kraftfahrzeugmeister Werner Jähnert, Markstraße, abgegeben. Dieser Vertrag kam aber nicht wirklich zur Ausführung.
Stattdessen einigten sich nur 14 Tage später Herbert Scheve und der Postvertriebsassistent Walter Müller. Müller kam aus der Grafschaft Hoya, Über die Art der Nutzung ist im Pachtvertrag nichts beschrieben. Aber in den Adressbüchern von 1958 und 1966 ist unter der Adresse Marktstraße 21, also auf dem Scheveschen Grundstück, der Wäschereibesitzer Heinrich Müller aufgeführt. Er betrieb dort in der Scheune nicht nur eine Wäscherei. Die Familie Müller wohnte dort auch mit ihren Kindern Walter, Renate und Klaus. Es ist keine besondere Werbung für seinen Betrieb bekannt, dennoch war diese Wäscherei eine gern in Anspruch genommene Einrichtung, wurde doch hier ein „Blaumann“ für 70 Pfennig gereinigt. Manche Hausfrau wird sich über diese Erleichterung gefreut haben.
Druckerei Karl Niemeyer 1966 bis 1974/75
Zuletzt wurde das Gebäude mit Wirkung vom 1. März 1966 an Karl Niemeyer zum Betriebe einer Druckerei und Papierverarbeitung vermietet. Der mit einem förmlichen Vordruck abgeschlossene Vertrag enthält keine Besonderheiten. (? außer, dass die Toilette im Hauptgebäude mit benutzt werden durfte?). Karl Niemeyer betrieb die Druckerei bis zum Abriss der Scheune im Jahr 1974/75.
1975 begannen die Arbeiten für den Bau der Bahnunterführung. Wegen der neu anzulegenden Zufahrten zum Hotel von der Unterführung und der Nienburger Straße her wurde das Grundstück deutlich kleiner. Weil die Scheune den Bauarbeiten im Wege stand, wurde sie – auf Kosten der Stadt- abgerissen. Damit wurde Platz gemacht für neue Parkplätze, die von Stadt mit gepflastert wurden.
Es zeigt die Verkehrssituation an der Marktstraße zur Einfahrt zum Bahnhof im Jahr 1972. Links der Kiosk der Gärtnerei Holz an der Eisenbahn, rechts Gasthaus Scheve, mittig die „Eierscheune“.
HD Februar 2017
Über Scheunen, Gebäude und Krieg in Neustadt
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Quellen:
- Stadt Neustadt, Bau- und Liegenschaftsämter
- Amtsblatt 1947 , Hans- Heinrich Hergt
- Adressbücher 1949, 1958, 1966
- Hartmut Dyck, www.ruebenberge.de: Über das Gasthaus Scheve und über den Bahnhof
- Klages, Maschinengeschriebenes Manuskript 1953
- Bericht Günter Wage
- Besonderer Dank an Henning Scheve, der den Beitrag mit wertvollen Informtionen vervollständigen und mit Irrtümern aufräumen konnte.