Geschichte der Kunst- und Kulturpflege in Neustadt: Über Kulturgeschichte und den Kunstverein von 1921
Neustadt behauptet sich als Kulturhauptstadt der Region. Das Angebot an kulturellen Ereignissen ist beachtlich und hochwertig. Schon früher waren Neustädter an der Pflege geistig-kulturellen Lebens interessiert – Kunst und Kultur hat in Neustadt Tradition. Diese wollen wir hier beispielhaft an der Zeit vor und nach 1921 beleuchten.
Über kulturelles Leben vor 1921: „Liebhaber- Theater- Verein in Neustadt“
Ende des 19. Jahrhunderts hatte Neustadt um 2.200 Einwohner. Der Altstadtkern mit seinen Ackerbürgern war noch stark landwirtschaftlich geprägt. Neustadt war aber auch Kreisstadt, daher gab es hier viele Behörden, hier wohnten und arbeiteten viele Beamte und gehobene Angestellte.
Deren Interesse am kulturellen Leben zeigt sich schon früh im „Liebhaber- Theater- Verein in Neustadt a. R.“ Hier boten namhafte Neustädter Bürger noch selbst ihre Kunst dar. Aus dem Protokoll der Generalversammlung von 1893 im Eckardt’schen Saale (dem späteren Hotel Nülle) ist zu schliessen, dass diese Laienspiel- Gemeinschaft schon länger bestanden hat.
Nach den auch damals schon üblichen Abläufen einer Vereinsversammlung stellt das Protokoll mit dem jener Zeit vielleicht eigenen Humorverständnis fest:
„Zur Aufführung kommen Prolog, Gesangs- und diverse humoristische Vorträge. Während des Spiels soll im Saale vom Auditorium ein Gänseessen gehalten werden. Heiter durch die vorangegangenen Beratungen gestimmt, verlief der Schluss der Versammlung in origineller Weise, indem verschiedene Herren ohne ihre Damen keine Gänse essen wollten und andere Herren wollten die Gänse ohne Damen essen“ (Aus der Leinezeitung übertragen von Frau Kattmann , Regionsarchiv Hannover in Neustadt)Ss
Die neue Bühne im Eckardt‘ schen Saale wurde daraufhin wie folgt eingeweiht:
Verständlich, dass die Presse, damals gab es ja nur die Leinezeitung, voll des Lobes war:
In ganz anderer Weise war der Verschönerungsverein von 1905 tätig. Mit immerhin 159 Mitgliedern sorgte er damals schon für ein gepflegteres Stadtbild. Durch Malerarbeiten und Blumenkästen sollte die Stadt verschönert werden. Diese Aufgabe übernimmt heute die Neustädter Geschäftswelt, die die Innenstadt mit einem ansehnlichen Erscheinungsbild für potentielle Käufer und Kunden angenehm gestalten möchte.
Weiteres kulturelles Leben fand vor allem in den Sälen der Gastwirtschaften statt. Zu nennen sind unter anderem „Stünkels Gasthof“, das heute marode und dem Abbruch geweihte „Hotel zum Stern„. Er verfügte bereits 1895 über einen Saal, der später hauptsächlich für Kinovorführungen benutzt wurde.
Im seit 1897 bestehenden Ausflugslokal „Parkhaus„, an der Strasse zwischen Neustadt und dem Dammkrug gelegen, luden die häufig wechselnden Besitzer zum „Unterhaltungskonzert mit nachfolgendem Kränzchen“, „Jeden Sonntag musikalische Unterhaltung“, „Grosses Streichkonzert“ ein. Allerdings ist ab 1921 kein Hinweis mehr auf Veranstaltungen im Parkhaus zu finden.
Seit 1924 hatte auch Gasthaus Lüders, heute „Calenberger Stuben“ einen beachtlichen Saal. Dieser wurde 1924 mit einem „Konzert der hannoverschen Kappelle Ohm, ( 9 Musiker ) „eingeweiht. Der Saal wurde vielfältig genutzt, für Kino, Feiern, Wahlversammlungen usw.
Weitere Räumlichkeiten gab es in „Nülles Hotel„, dem früheren Eckardt’schen Hotel. Dieses Gebäude stand an der Stelle der heutigen Volksbank. Hier residierte vor allem das „Zentral- Lichtspiel- Theater“ mit häufig wechselndem Kinoprogramm. Auch hier fanden gelegentlich Darbietungen des Kunstvereins von 1921 statt.
Wenig überliefert ist über das „Hotel Deutscher Hof. Grösstes und vornehmstes Theater am Platze“. Seine „Kreisstadt- Lichtspiele“ boten ebenfalls ein abwechlungsreiches Kinoprogramm. Hier fanden 1921 die meisten Veranstaltungen des Kunstvereins statt. Das Hotel stand an der Marktstrasse gegenüber der Windmühlenstrasse. Im Juli 1934 wurde es evangelisches Gemeindehaus. Heute steht dort an der Ecke zum Entenfang ein modernes Geschäftsgebäude.
Den ersten grossen Saal, der sich auch für grössere Veranstaltungen jeder Art eignete, bot ohne Zweifel die 1883 erbaute Bürgerhalle. Ein grosses gesellschaftliches Ereignis in diesem Saal dürften die jährlichen Schützenfeste gewesen sein, zu deren Anlass man sich auch heute noch besonders festlich kleidet. Hier fanden aber auch Konzerte des Kunstvereins von 1921 statt.
Die Bürgerhalle wurde 1971 durch das Freizeitheim ersetzt.
Der Magistrat der Stadt war 1921 so großzügig, dem Kunstverein, “ (…) die Pacht für die Benutzung der Bürgerhalle anläßlich der Veranstaltung des Symphoniekonzerts zu erlassen„.
An sich waren die Vergnügungsmöglichkeiten in Neustadt, gemessen an den Großstädten, bescheiden. Es liegt auf der Hand, dass es in der Hauptstadt Hannover ein interessanteres Freizeit- und Kulturangebot gab. Dort zum Beispiel entdeckte Jugend mittlerweile schon den Jazz und mit ihm, neue Tänze. Das Kabarett erlebte seine erste Blüte. Besonderen Zulauf aber fanden auch in Neustadt die Kinos.
Besondere kulturelle Angebote waren die winterlichen „Militair“- Konzerte. Auch hielten sich manchmal in Neustadt wochenlang Theatergesellschaften auf und gaben Gastspiele. Daneben bestand auch das Laienspieltheater. Neben dem Sportverein ist auch ein Gesangverein überliefert.
Die Vielfalt der „im Bezirke der Stadt Neustadt a. Rbge stattfindenden Lustbarkeiten“ bewog die Stadtverwaltung 1920, eine neue Einnahmequelle zu erschliessen. Sie stellte die“Ordnung betreffend die Erhebung von Lustbarkeitssteuern“ auf.
Dieser Steuer unterlagen jedoch nicht Veranstaltungen, die wissenschaftlichen, künstlerischen, belehrenden oder Unterrichtszwecken dienten. Das traf auf den neugegründeten Kunstverein von 1921 sicher zu.
Der Kunstverein von 1921
Vermutlich um der leichten Unterhaltung entgegenzuwirken oder die Lust am Theater wieder zu beleben, wurde 1921 ein seriöses hochkulturelles Angebot gebündelt, denn es gründete sich ein Kunstverein. Da wurde – natürlich- zuerst ein Vorstand gewählt und eine Satzung beschlossen. In der Satzung vom 16. Februar 1921 wurden die Einzelheiten festgelegt:
§1: Zweck der Vereins ist die Veranstaltung von Konzerten, sowie künstlerischen und wissenschaftlichen Vorträgen. Der Name des Vereins soll sein Kunstverein Neustadt a. Rbge. e.V. und hat seinen Sitz in Neustadt a. Rbge . Der Verein soll in das Vereinsregister Neustadt a. Rbge. eingetragen werden.
Ausser den für Vereine üblichen Regelungen liess man sich von der Idee der Emanzipation leiten, es fällt die damals sicher moderne „Quotenregelung“ auf:
§6: Zur Leitung der Geschäfte wird von der Hauptversammlung ein Vorstand von 8 Mitgliedern (4 Herren und 4 Damen) auf 4 Jahre gewählt.
Den ersten Vorstand bildeten als Vorsitzender Herr Dietrich Redeker, stellvertretend Herr Cassens; als Schrift- und Kassenführer fungierten die Herren Grimsehl und Niemeyer. Die Damen, Frau Dr. Brinkmann, Hanna Hogrebe, Frau Bergmann, Frau Dr. Einstmann nahmen die Aufgabe als Beisitzerin wahr.
Der Verein wurde am 24. Oktober 1921 unter der Nr.11 in das Vereinsregister eingetragen.
In der Urschrift der Satzung ist in §2 ein Jahresbeitrag von 20 Mark festgelegt, das 3. Familienmitglied zahlte 10 Mark. Bereits 1 Jahr später werden die Beiträge auf 30 bzw. 15 Mark erhöht. 1923 machen sich schwere Zeiten bemerkbar, der Jahresbeitag wird am 10. Januar 1923 auf 200 bzw. 100 Mark erhöht.
An Stelle von Frl. Hogrebe wurde 1923 Frau Meinrath, Zwischen den Brücken, zur „Vorstandsdame“ berufen.
Nach seiner Wahl zum ersten Vorsitzenden lag die Hauptlast des Vereins wohl bei Herrn Apotheker Dietrich Redeker. Er wurde gleich eingedeckt mit Angeboten Kunstschaffender und Agenturen aller Art, er musste regen Briefverkehr führen, in denen es um Termine, Honorare, Dirigentenpulte, Reklame, Programmhefte und vieles mehr ging.
Schon vorher hatte er Kontakt mit einem damals offensichtlich berühmten Musiker aufgenommen, dem Professor Riller, Violine, aus Hannover. Prof. Riller stellte in kurzer Zeit ein Programm zusammen. Zur Klärung offener Fragen, z.B. dem Programm, den Honoraren, der Unterkunft usw. spielte sich- immer über den Apotheker Redeker- ein immenser Schriftverkehr in Form von Postkarten und Briefen ab.
Und endlich, am 28.Februar, abends 8 Uhr, findet im Saale des „Hotels Deutscher Hof“ der 1. Konzertabend statt.
Der anschliessenden Pressebesprechung war deutlich zu entnehmen, dass man in Neustadt auf ein solches Erlebnis gewartet hat: Zu den inzwischen 200 Mitgliedern des Vereins waren weitere 120 Besucher gekommen, der Saal platzte wohl aus allen Nähten. „So gestaltete sich die Erstaufführung, deren musikalische Darbietungen auf großstädtischer Höhe standen, zu einem vollen Sieg für die Neustädter Kunstfreunde.“
Gewiss hat man sich für einen solchen gesellschaftlichen Anlass „in Schale geschmissen“. Die Mode verlangte für die Damen vermutlich gleichförmig weite wadenlange Kleider, aus Charmeuse, Taft oder Chiffon mit aparten Garnierungen wie Seidenfransen oder herabhängenden Stoffbahnen. Die Abendkleider waren relativ einfach und wadenlang geschnitten und zeigten Dekolletė.
Herrn Redeker gelang es, das ganze Jahr 1921 mit grossartigen Angeboten zu füllen:
Für 300 Mark wurde die Sängerin Frau Edeler aus Hannover gewonnen. Vorgesehen war ein Liederabend mit Liedern von R. Kothe, Wolzogen, Hölty, Löns, auch „zwei alte Soldatenlieder, ein wenig scherzhaft gehalten.“ Doch, quel malheur, die Dame hatte wohl Allüren und sagte 2 Tage vor der Veranstaltung ohne weitere Begründung telegraphisch ab. (Kommen unmöglich, für anderes Programm keine Zeit.) Mit seinen sicher guten Beziehungen schaffte Herr Redeker einen adäquaten Ersatz. In einem1 ½ Stunden langen Vortrag führte der Herr Pastor Kühnhold durch die Geschichte der Heimat. Herr Kühnhold war bereits bekannt durch sein bemerkenswertes, noch heute wichtiges und als Quelle dienendes, lesenswertes Buch über „Basse, Gohgrafschaft- Vogtei, Kirchspiel.“ Keine Frage, dass auch diesem zweiten Abend des Kunstvereins viel Beifall gezeugt wurde.
Der Kunstverein war nicht nur der Musik verpflichtet, für den 3. Vortragsabend wurde der Rezitator Rahmeyer aus Bremerhaven eingeladen, der in Plattdeutsch Reuter, Droste, Kinau und andere vortrug. („Wohl jedem ist durch die genußreichen Stunden zum Bewustsein gekommen, welch eine Fülle gesunden Humors in unseren Dichtungen steckt„)
Der Kunstverein mit Herrn Redeker schaffte einen weiteren Höhepunkt. Am 26. August 1921 beehrten sich im Hotel Deutscher Hof der Sänger Heinz Nülle- Neuhoff und Frau Bartels- Büsing am Flügel.
Auch diese Vorstellung hat die Geduld des Organisators sicher strapaziert, denn Herr Nülle- Neuhoff musste einen zuerst für April vorgesehenen Liederabend absagen, ein langwieriger Schriftverkehr mit der Sängerin war die Folge. Der musikalische Vortrag fand aber- ausserplanmässig als Sonderveranstaltung- doch im August statt.
Die Presse äusserte sich letzlich sehr wohlwollend über die Leistung der Künstler, die viel Beifall, Blumen und Kränze in Hülle und Fülle ernten durften.
Einen Mißklang jedoch lieferte das vom Veranstalter gestellte Klavier. „Unser alter Veteran von Klavier, der in seiner Mittellage ja noch sehr gut klingt, da voll und ganz seine Pflicht tut, kann eben in höheren Lagen nicht mehr so singen und klingen, wie wir alle möchten.“
Die Presse ergänzte kurz später in einem Nachtrag:
„(…) Nülle – Neuhoff ist ein Landsmann, ein Sohn unserer Stadt, der sich an der berühmten Hofbühne von Meiningen und am Stadttheater in Magdeburg seine ersten Lorbeeren verdient hat. (…) Frau Bartels – Büsing , deren Eltern aus Empede stammen, ist eine der bekanntesten Pianistinnen Hannovers(…)“.
Den älteren Neustädtern ist dieser Herr Nülle gewiss auch noch bekannt, er musste ca. 1928 das Erbe seines Vaters antreten und führte es als origineller und beliebter Chef des Hotels Nülle bis zu seinem Ende.
Schwierigkeiten mit dem Klavier beklagt auch die Sängerin Frau Lisa Schollmeyer. „(…) auf dem Ding von Teumer wäre ja auch unmöglich zu spielen (…) es ist zwar kein Vergnügen mit solch einem miserablen Klavier zu arbeiten, aber (…)“
Sie gab im Oktober zusammen mit Frau Rittmeister Antonie von Raab, „einer vollkommen unbekannte Berliner Sängerin (hoher Sopran)“ einen Lieder- und Duettenabend. Sie schreibt: „Der grosse Saal wird vollständig genügen, natürlich handelt es sich um ein Stuhlreihenkonzert (…) (Es) belaufen sich die Kosten auf 600 Mark (…)“ Die Klavierbegleitung für die Sopranistin wurde von Frau Dr. Einstmann übernommen, eine der Vorstandsdamen des Kunstvereins. Die Sorge der Frau Schollmeyer um ausreichenden Besuch war bei der Beliebtheit des Kunstvereins sicher unbegründet.
Das bereits in Nenndorf dargebotene Programm wird auch in Neustadt geboten worden sein. Das Programmheft diente als Eintrittskarte und hatte rechts unten einen Abriss.
Doch nicht nur Konzert und Musik gehörten zum Repertoire des Kulturvereins. Im November hielt der bekannte Reuterrezitator Sternberg einen Vortag über Reuter und brachte Abschnitte aus „Hanne Nüte“, „Stromtid“, „Franzosentid“ und anderes: „…ein echter deutscher Heimatabend, und der ihn uns verschaffte, ist ein großer, prächtiger Künstler„.
Mit dem Engagement des Städtischen Orchesters Bückeburg beschritt der Kunstverein finanziell riskante Wege. Der Organisator der Bückeburger, Kammermusiker Sauermilch, bestätigte dem Kunstverein : „Hut ab, Sie bringen der Kunst noch wirklich Opfer“. Ein ausgiebiger Schriftverkehr mit Herrn Redeker diente der Vorbereitung und letztlich wurde in der Bürgerhalle ein „Grosses Symphonie- und Volks- Konzert“ mit immerhin 30 Mann gegeben.
Dieses Orchester führte vor der „Revolution“, also etwa 1918/19, den Namen „Fürstliche Hofkapelle“. Es ist so gut angekommen, dass es später, 1922, trotz einer Kostensteigerung von 2.550 auf 3.000 Mark noch einmal auftreten durfte. Auch da war die Kritik des Lobes voll. Allerdings äusserte der Rezensent abschliessend die Bitte an den Magistrat, auf dem Schützenplatze noch eine Laterne anzubringen, da der Heimweg nach dem Konzert doch sehr halsbrecherisch sei.
Das Jahr 1921 fand seinen musikalischen Abschluss mit dem VI. Kunstvereinsabend am 12. Dezember im Saale des Hotels Deutscher Hof. Das Programm wurde gestaltet von Frau Hofopernsängerin Mathilde Schuh, Sopran, Kammermusikus Kurt Gillman, Harfe, und dem Kammermusikus Fritz Both, Violine. Das Programm enthielt eine Reihe romantischen Liedgutes von Saint-Saen, Mozart, Händel, Leo Blech, um einige zu nennen. Bemerkenswert ist die Würdigung der Harfe, eines klangschönen Instrumentes, welches sich als Soloinstrument eignet, aber auch als Begleiter zu Klavier, Gesang oder Violine. Die Presse hebt die besondere Kostbarkeit und den hohen Preis dieses Instrumentes hervor. Schon in Friedenszeiten konnte man für eine Harfe, die nur in Frankreich gebaut wurde, 4 Blattnerflügel kaufen.
Anfang 1922 musste der Verein bei Honorarforderungen von 8. 000 Mark für ein Vokalkonzert passen. Er hatte wohl auch mit einer Anfrage beim Dichter und Schriftsteller Börries Freiherr von Münchhausen auf Schloss Windischleuba etwas zu hoch gegriffen und holte sich eine kühle Absage.
Das Jahr 1922 und die folgenden dürften genau so vielseitig abgelaufen sein wie das erste sehr erfolgreiche 1921. Es gab weiterhin diverse Anfragen verschiedener Künstler. Ein zweites Mal trat das Rillerquartett auf, die Bückeburger spielten erneut. Überliefert ist ein Lautenkonzert am 18. Oktober 1922 mit einem grossen Künstler, dem Lautenschläger Robert Kothe.
Wie sehr die Preise angestiegen waren, erkennt man aus seiner Honorarforderung von immerhin 4.000 Mark. Die ihn vertretende Konzertdirektion Nagel aus Hannover sah sich bis zum September 1922 gezwungen, aufgrund der eingetretenen veränderten Verhältnisse und Schwierigkeiten sein Honorar auf 6.000 Mark zuzüglich Hotelkosten zu erhöhen.
Der Durchschnittsverdienst eines Arbeiters betrug am 1. Oktober. 1921 um die 1.200 Mark monatlich. In der zweiten Jahreshälfte hatte eine Teuerung eingesetzt, die zu einer unvorstellbaren Inflation führte. Wie schwierig die Zeiten wurden, dokumentiert auch ein Aufruf der Konzert- Direktion Arthur Bernstein aus Hannover. Er beklagt die ungeheure Umwälzung, welche das Wirtschaftsleben in den letzten Jahren durchgemacht hat. Die trüben Aussichten für die weitere Entwicklung derselben haben das sonst in Deutschland so blühende Musikleben in ernsthafte Gefahr gebracht. Er beschreibt die unbedingten und berechtigten Folgeerscheinungen der Geldentwertung und das rapide Steigen von Honorarforderungen.
Wie der Kunstverein letzlich damit umgegangen ist, ist unbekannt. Der Zustand der gallopierenden Inflation hielt an bis zur Währungreform im Oktober 1923. Vor der Einführung der Rentenmark bekam man für 1 Billion Mark einen Dollar, dafür konnte man gerade ein Brot oder ein Pfund Butter kaufen.
Die letzten bekannten, den Kunstverein betreffenden Dokumente sind aus dem Jahre 1924. Mit dem Vortrag von Karl Grubenhorst über Neustadt am Rübenberge setzte der Kunstverein wieder neue Akzente.
Ein neuer Kunstverein
Tatsächlich aber hat sich in Neustadt wieder ein „Kunstverein“ etabliert. Mit Datum vom 7. 5. 1984 wurde er ins Vereinsregister des Amtsgerichts eingetragen. Seine Kunst allerdings beruht nicht so sehr auf der musikalischen Ebene seines fast unbekannten Vorgängers, das Gewicht liegt heute bei der darstellenden Kunst. Während das Hauptaugenmerk des früheren Vereins auf der Verabstaltung von Konzerten sowie künstlerischen und wissenschaftlichen Vorträgen lag, beruht der Zweck des heutigen Kunstvereins auf Veranstaltungen und Besuch von Kunstausstellungen, Angebot von Jahresgaben und Veranstaltung von Vorträgen. Eine besondere Note bietet hier die Arthothek, in der sich Mitglieder wechselweise Bilder ausleihen können.
HD 101/ 2001
- Dank an Frau Richter, die den Vorschlag zu dieser Arbeit machte und die wesentlichen Unterlagen aus dem Besitz von Frau Moldenhauer vermittelte.
- Dank an Frau Karin Horl Grasenik, die bei der Suche nach zeitgenössischen Anzeigen behilflich war.
- Aus dem Archiv Hannover in Neustadt steuerte Frau Kattmann 3 Unterlagen zum Liebhaber- Theater von 1893 bei.
Karl H Beermann on 27 Apr 2012 at 20:16 #
Hallo Christian, mir liegt ein Buch vor, von dem in Neustadt aufgewachsenen Schriftsteller Georg Grabenhorst, „Abenteuer der Jugend“, mit Erzählungen aus seiner Jugendzeit. Das Buch steht unter dem Motto:
“ Eine glückliche Jugend welch wunderbares Licht; es leuchtet ein Leben lang:“
Das 1. Kapitel in diesem Buch berichtet über die Erlebnisse des o. g. Schriftstellers anläßlich seiner Vorlesung vor dem Neustädter „Verein für Kunst und Wissenschaft“ im Rathhaus, anscheinend nach dem 2. Weltkrieg. Jedenfalls waren noch unter den Anwesenden Grabenhorsts ehemaliger Lehrer Theo Fömling und ich zitiere wörtlich aus dem Buch, „das ehrwürdige Greisenpaar in der zweiten Reihe waren Rektor Cassens und Frau“.
So aus o. g. Buch beschrieben, um in etwa den Vortrag zeitlich einordnen zu können.
Ich schätze mal diese Vortragsveranstaltung des Kunstvereins war schon kurz nach dem 2. Weltkrieg, also bestimmt vor der o. g. Neugründung im Jahr 1984. Es muß also schon vorher lt. o. g. Buch ein Interessenkreis bestanden haben. In der obigen Historie sollte evtl. eine Lücke gefüllt werden um das Dunkel zu erhellen.
Mit freundlichen Grüßen
Karl H Beermann